21/12/2023
TANNENBAUM UND WEIHNACHTSMANN BEI DEN TÜRKEN
Kennt die türkische Tradition ein Fest, bei dem Bäume geschmückt und Präsente gemacht werden? Ja, gleich mehrere. Das wichtigste dieser Feste ist Nardugan.
Das Nardugan Fest, dessen Ursprünge in die vorislamische Epoche reichen, wird von den türkischen Völkerschaften Sibiriens und Zentralasiens noch heute begangen.
Sogar eine mit Santa Claus vergleichbare mystische Figur gibt es in der türkischen Welt.
NARDUGAN - WINTERSONNENWENDE-FEST
Das Nardugan Bayramı findet vom 21. zum 22. Dezember, zur Wintersonnenwende, statt.
Nar = Sonne / Licht
Dugan = aufgehen / Geburt
Nardugan = Sonnengeburt
Bayram = Fest
Im alten Glauben der Türken kämpfen der Tag und die Nacht miteinander. Am 22. Dezember besiegt der Tag die Nacht. Die Kräfte des Guten obsiegen über die der Dunkelheit.
Die Wintersonnenwende steht für Neubeginn. Die Erneuerung des Kosmos ist der Anlass für das Nardugan Bayramı.
WIE WIRD GEFEIERT?
Die Menschen suchen eine Weißtanne (akçam) in der Umgebung ihres Dorfes. Dieser wird nicht gefällt, sondern hübsch geschmückt.
Zu Füßen der Tanne werden Geschenke ausgelegt. Die Dorfgemeinschaft versammelt sich unter der Tanne. Die festlich bekleideten Bewohner essen, trinken, singen und tanzen zusammen.
DER BAUM IN DER TÜRKISCHEN MYTHOLOGIE
Den Türken der vorislamischen Zeit waren Bäume heilig. Sie glaubten, das im Zentrum des Universums ein mächtiger Baum steht, der tief in der Erde wurzelt und bis zum "siebten Stock" des Himmels rankt.
Diesen nannten sie hayat ağacı (Lebensbaum). Der Lebensbaum erlaubte es den Menschen, mit Gott oder den Göttern (es gab je nach Ort und Zeit sowohl Monotheismus wie Vielgötterei unter den Türken) in Kontakt zu treten.
Die zum Nardugan Fest geschmückte Tanne steht symbolisch für den Lebensbaum. Die Dorfbewohner machen Streifen aus Stoff oder Papier an ihre Zweige fest, mit denen sie der göttlichen Kraft ihre Wünsche für das neue Jahr übermitteln.
VON ZENTRALASIEN NACH EUROPA?
Das Nardugan Fest ist viele Tausende Jahr alt.
Die krimtatarisch-türkische Historikerin Muazzez İlmiye Çığ vertritt die These, dass der Brauch des Baumschmückens mit den prototürkischen Hunnen aus Zentralasien nach Europa kam und germanische Stämme, die unter hunnischer Hegemonie lebten, diesen von den Hunnen übernommen haben.
AYAZ ATA - DER TÜRKISCHE SANTA CLAUS
Was dem Westen der Weihnachtsmann ist, ist den sibirischen und zentralasiatischen Türken Ayaz Ata.
Ayaz = Frost
Ata = Vater
Ayaz Ata = Väterchen Frost
Analog zu Santa Claus, der zur Weihnachtszeit die Kinder beglückt, erfüllt Ayaz Ata die Wünsche der Kinder in Euroasien.
Doch tritt Ayaz Ata immer zusammen mit seiner Enkelin Kar Kızı auf.
Kar = Schnee
Kız = Mädchen
Kar Kızı = Schneeprinzessin
Übrigens haben die ostslawischen Völker in Djed Moroz und Snegurochka zwei Figuren, die mit denen der Türken des uralaltaischen Raumes quasi identisch sind.
(Das russische "djed" (Großvater) ist dem türkischen "dede" (Großvater) erstaunlich ähnlich.)
GELEBTE UND VERGESSENE TRADITIONEN
Nardugan, Ayaz Ata und Kar Kızı sind den tatarischen aserbaidschanischen, usbekischen, kasachischen, kirgisischen, turkmenischen, tschuwaschischen, baschkordischen, yakutischen Türken wohl vertraut.
Anders in Anatolien. Noch im 17. Jahrhundert wurden im osmanischen Hof bei Festivitäten Bäume geschmückt; das ist von Chronisten und durch Zeichnungen überliefert.
Weiterhin aber ist der Lebensbaum in Anatolien ein beliebtes Motiv auf Teppichen und Keramiken. Und das Anbringen von Stoff- und Papierstreifen an Baumzweigen oder den Grabstätten verehrter Persönlichkeiten ist bis heute in der Türkei verbreitet.
Hunderte solcher Wunschzettel finden sich am Grab von Mutter Maria in Selçuk, Türkei - angebracht von christlichen und moslemischen Türken.
Verfasser:
Ertuğrul Uzun - 8. Dezember 2020 - Berlin