
26/03/2025
Was, wenn nicht die Situation dein Gefühl bestimmt – sondern die Bedeutung, die du ihr gibst?
Vor 20 Jahren im Februar saß ich in Dharamsala (Nordindien) – frühmorgens, bei klirrender Kälte – auf steinernem Boden unter freiem Himmel.
Es war die Zeit der Frühjahrsunterweisungen des Dalai Lama.
Wir waren lange vor Sonnenaufgang gepilgert, um einen guten Platz zu bekommen.
Pilger:innen aus aller Welt waren dort – viele Europäer:innen, Tibeter:innen und vor allem auch Mönche und Nonnen, die teils wochenlange Wege auf sich genommen hatten.
Eine stille, erwartungsvolle Atmosphäre lag in der Luft.
Ein junger Mönch kam mit einer großen Aluminiumkanne.
Er ging durch die Reihen und schenkte allen etwas ein, die ihm einen Becher entgegenstreckten.
Ich freute mich auf Tee – auf etwas Warmes, Wohltuendes.
Ich nahm den dampfenden Becher, pustete, nahm einen Schluck – und dachte innerlich schreiend:
👉 „Igitt, was ist das denn?! Das soll der Buttertee sein, den ich aus Romanen kenne?! Das ist ja voll ekliges Zeug.“
Der Geschmack traf mich völlig unvorbereitet.
Ekel. Enttäuschung. Frust.
Ich wollte es am liebsten sofort loswerden – doch es gab keine unkomplizierte Möglichkeit.
Also saß ich da – grummelnd.
Den Becher in der Hand haltend, überlegte ich, wie ich das Zeug loswerden konnte, ohne meinen Platz am Boden zu riskieren.
Immer mehr Menschen strömten auf das Gelände.
Ich blickte in meinen Becher. Fettaugen schauten mich an. Und grummelnd dachte ich:
👉 „Das ist doch kein Tee! Das ist doch Brühe.“
Resigniert und mutig nahm ich noch einen Schluck –
und ein kleines Wunder geschah:
Plötzlich schmeckte es.
Ein einziges neues Etikett – still, wie aus dem Nichts –
und etwas in mir veränderte sich.
Nicht die Flüssigkeit. Nicht die Umstände.
Doch mein Erleben war wie ausgewechselt.
✨ Meine erste und tief eingeprägte Erfahrung mit der Kraft des gewählten Wortes.
Ein inneres Etikett hatte sich verschoben –
und ich konnte die Wirkung auf mein Gefühl, meine Körperwahrnehmung und mein Handeln ganz bewusst und kraftvoll wahrnehmen.
Ich trank den Becher leer. Holte mir sogar Nachschlag.
Was sich verändert hatte, war die Bedeutung, die ich dem Getränk gegeben hatte.
Ein unbewusst gewähltes Wort hatte mein Erleben geöffnet –
weg vom Widerstand, hin zu einem beherzten Willkommen.
Ja gar einem: „Mmmh, lecker!“
Diese Erfahrung wirkt bis heute in mir nach.
Sie prägt mein Arbeiten mit Frauen,
die sich nach mehr innerer Klarheit und authentischer Selbstführung sehnen.
Denn: Die Wahl unserer inneren Sprache ist machtvoll.
Und oft beginnt alles mit einem einzigen Wort.
✨ Wann hast du zuletzt bemerkt, wie ein inneres Etikett dein gesamtes Erleben in Richtung wahrer Leichtigkeit gewandelt hat?
Ich freue mich auf deine Gedanken in den Kommentaren.
Foto: Annett Zupke