16/11/2025
Letztens kamen ein Freund und ich auf die Bedeutung des Körpers zu sprechen. Er praktiziert die Kabbala*, also jüdische Mystik, und oft finden wir Überschneidungen in unseren Überzeugungen und Erfahrungen. Dieses Mal nicht, denn der Körper war für ihn negativ besetzt: Er gilt ihm als Sitz der "bösen" Triebe, die den Menschen ablenken und verführen.
Uih, dachte ich, hier haben wir aber eine klassische Täter-Opfer-Umkehr! Welcher Körper möchte wirklich endlos mit Essen vollgestopft werden? Welcher Körper möchte sich freiwillig mit Alkohol und anderen berauschenden Mitteln vergiften, den ganzen Tag bewegungslos auf dem Sofa verbringen oder ständig S*x haben? Ja, der Körper hat seine Bedürfnisse, aber in Maßen. Was darüber hinaus geht, entstammt wohl eher dem bewussten Ich, das ihm SEINE Bedürfnisse aufzwängt - oft aus inneren Defiziten heraus. Wenn dann der Eindruck entsteht, der Körper selbst dränge nach dieser Misshandlung, ist das Kind wohl bereits in den Brunnen gefallen.
Diese Verdrehung ist mir nicht neu, habe ich mich während meines Studiums doch viel mit den patriarchalischen Religionen beschäftigt, die dem Körper oft eine negative Deutung angedeihen lassen (wie auch viele philosophischen Strömungen in jener Zeit!). Die Schriften sprechen zwar eine andere Sprache, der Körper sei als eine heilige Schöpfung Gottes anzusehen und verdiene Respekt und eine gute Behandlung. Doch der körperfeindliche Ansatz hat sich sehr durchgesetzt, selbst in der Mystik.
Es wurde eine Dualität geschaffen zwischen dem unreinen, materiellen Körper und dem reinen göttlichen Geist, oder der reinen Seele. Um an der Göttlichkeit teilzuhaben, soll die Körperlichkeit überwunden, zumindest kontrolliert werden.
Nur alter Kram, der mit unserem modernen Denken nichts zu tun hat? Ich denke nicht, denn unsere Kultur ist von diesen Religionen und philosophischen Ideen geprägt und die Folgen allgegenwärtig: Viele Menschen haben den Kontakt zu ihrem eigenen Körper verloren, spüren ihn kaum noch, instrumentalisieren ihn für andere Bedürfnisse. Sie haben ihr Vertrauen verloren, hören nicht auf seine Weisheit, sondern misstrauen seinen Regungen und versuchen, ihn zu kontrollieren.
Daher tun wir gut daran, besonders gut hinzuschauen, wenn es um unsere Körperlichkeit geht!