27/05/2019
"Es ist noch nicht lange her, dass der Geist des Frosches dem Regenwald entstiegen ist. Ein französischer Missionar berichtete 1925 erstmals von den Kokelspielen der Indios im nördlichen Amazonas. In den Neunzigern trugen Gummizapfer Kambô vom Regenwald in die Großstädte Lateinamerikas. Von dort breitete sich sein Gebrauch rasend aus, vor allem in Brasilien. Dort nennt man diese anzestrale Behandlungsmethode „vascine de floreste“ – also „Impfung des Urwalds“.
--Gemisch verschiedenster Substanzen-
Noch rätselt die Wissenschaft, wie der Kambôeffekt zustande kommt. Der italienische Chemiker Vittorio Erspamer untersuchte 1986 als erster den Schleim. Erspamer, der den Neurotransmitters Serotonin entdeckte, befand, Kambô enthalte einen „fantastischen chemischen Cocktail von potenziellem medizinischen Nutzen, wie bei keiner anderen bekannten Amphibie“.
Zwölf bioaktive Aminosäuren, sogenannte Peptide, haben Forscher seitdem identifiziert. Eines davon, Adenoregulin, spielt eine Rolle bei Depressionen, Alzheimer und Schlaganfall, ein anderes gilt als eines der stärksten natürlichen Antibiotika. Das Sekret des Frosches ist ein Gemisch verschiedenster Substanzen. Das macht es so wirkungsvoll – aber auch unberechenbar.
Kambô verursacht, anders als andere Gifte, keine Halluzinationen. „Der Stoff ist bioaktiv, nicht psychoaktiv“, sagt Giovanni Lattanzi, einer der umtriebigsten Fürsprecher der Dschungelmedizin. Einen berauschenden Tripp könne der Stoff nicht auslösen. Lattanzi betont die heilende Wirkung. Der 54-jährige Italiener war einer der ersten, die sich Kambô von der schulmedizinischen Seite näherten. Vor fünfzehn Jahren kam der promovierte Psychologe erstmals mit Kambô in Kontakt. Weil ihm das Froschgift half, seine Hepathitiserkrankung und ein langjähriges Darmleiden zu überwinden, studierte er bei den Katukina im Regenwald den traditionellen Gebrauch. Seitdem hat er unzählige Workshops und Konferenzen organisiert.
Den Haupteinsatz sieht Lattanzi bei seelischen Erkrankungen. Die starke körperliche Reaktion auf das Gift kann die Psyche beeinflussen. „Mit Kambô überwinden die Menschen dauerhaft schädliche Denk- und Verhaltensmuster.“ Das intensive Vergiftungserlebnis scheint brutal – aber wirkungsvoll.
--Mittlerweile geht es um viel Geld-
Auch die Pharmaindustrie hat Interesse an der Froschmedizin, allerdings nicht auf den Froschschleim im Ganzen, sondern nur auf seine einzelnen Komponenten. Denn eine Substanz, die unberechenbar zu schwerer Übelkeit und möglicherweise Schlimmeren führen kann, hat in Medizinerschränken keine Chance. Dieses Problem taucht bei Stoffen aus der Natur häufig auf: Sie sind ein Gemisch verschiedenster Substanzen, Forscher zerlegen sie dann in ihre Einzelteile – und prüfen, welche davon gegen Krankheiten wirken können und synthetisch herstellbar sind.
Siebzig Patente existieren auf Kamô-Inhaltsstoffe, zuletzt konnten französische Forscher nachweisen, dass einer davon in der Lage ist, das Krebswachstum bei Mäusen zu stoppen. Manche Forscher hoffen auf eine ähnliche Erfolgsgeschichte wie bei dem Blutdruckmittel Captopril, das Mitte der Siebziger aus dem Gift der amazonischen Jararaca-Lanzenotter entwickelt wurde. Der Arzneimittelgigant Squibb machte mit Captopril Milliardenumsätze. "
aus:https://www.welt.de/gesundheit/article158944039/Kambo-das-Wundermittel-aus-dem-Giftfrosch.html