09/08/2023
Pflanzenschamanismus
Da im Schamanismus alles als beseelt und mit Bewusstsein erfahren wird, ist die „schamanische Phytotherapie“, wie ich es gerne nenne, eine ganz andere Herangehensweise an Heilpflanzen als die der klassischen Naturheilkunde. Der klassische Phytotherapeut (Therapeut, der Heilpflanzen anwendet) verwendet Tinkturen, Tees, und weitere Pflanzenzubereitungen, um den Patienten zu helfen oder zu heilen. Er weiß, dass die Saponine, Gerbstoffe, Alkaloide und andere Wirkstoffe den körperlichen Zustand zum Guten (oder auch zum Schlechten….) verändern können. Klassische Phytotherapie berücksichtigt also nur die feststofflichen Aspekte der Pflanzen, aber der Schamane nimmt die spirituelle Komponente, also die Seele der Pflanze, dazu. Übrigens schließt dieses schamanische Paradigma NICHT die feststoffliche Komponente aus. Diese Wissenschaftsfeindlichkeit, die seit ein paar Jahren vermehrt in der Esoterikszene grassiert, passt eben NICHT zum ursprünglichen Schamanismus. Es gibt eine schöne Szene in Michael Oppitz´ Film „Schamanen im Blinden Land“, wo zwei Schamanen über ein neues Krankenhaus, dass in der Nähe ihres Dorfes, eröffnet hat, plaudern und ganz entspannt sagen: „Die heilen die Krankheiten, die wir nicht heilen können und wir heilen diejenigen, die sie nicht heilen können!“. Gerade die Naturwissenschaft mit ihrer rationalen Herangehensweise schützt ungemein vor „Mindf**k“, also vor „Visionen“, die sich als Hirngespinst herausstellen (was sich zur Zeit der Coronapandemie tausendmal abspielte…).
Aber schauen wir mal an, wie der Pflanzenschamanismus konkret praktiziert wird. Die Meister des Pflanzenschamanismus sind einige native Stämme in Südamerika, bezeichnenderweise sind das auch diejenigen Stämme, die mit halluzinogenen Pflanzen arbeiten. Hier sind zwar auch Krafttiere bekannt, aber die Pflanzengeister werden als wichtige Verbündete, als „Kraftpflanzen“, die fast genau wichtig wie die klassischen Krafttiere angesehen. Ayahuasca ist beispielsweise eine wichtige Verbündete, sie wird nicht umsonst „la madre“ (Mutter) genannt und erscheint in Visionen als Schlange oder als „Große Mutter“. Eines dieser Völker kennt man als Jivaro, von dem Michael Harner diese Kunst gelernt hat und so modifizierte, dass es auch für Westler sowohl nachvollziehbar und praktikabel ist (vor allem muss man nicht Halluzinogen einnehmen).
Dem Schamanen erscheinen also in seiner Trance Pflanzen als Personen, die mit ihm kommunizieren und ihm sagen können, gegen welche Krankheiten, sowohl auf der materiellen als auch auf der spirituellen Ebene, helfen können. Viele südamerikanische Schamanen sagen Forschern, wenn diese fragen, woher sie das Pflanzenwissen bekommen haben, ganz lakonisch: „Die Pflanzen haben es uns erzählt!“. Ich kann solche verrückt klingenden Geschichten von meiner eigenen Praxis her bestätigen. Übrigens: viele Leute, welche die Harner-Technik , die in seinem Buch „Der Weg des Schamanen“ zur Gewinnung verbündeter Pflanzengeister beschrieben wird, anwendeten, nahmen durchaus manche Pflanzengeister als Feen, Zwerge oder Elfen wahr. Man muss also nicht die südamerikanische Wahrnehmungsbrille aufsetzen. So kann sich zum Beispiel das Veilchen als zarte „Tinkerbell“ im violetten Kleidchen erscheinen oder der Holunder als Frau Holle, wie sie im Märchen der Gebrüder Grimm beschrieben wird. Ich selbst nehme manche Pflanzengeister als emsige Feen, die z.B. an der Aura eines Klienten werkeln – die Tinkerbellfilmchen sind ein Dreck dagegen. Sie sehen: Pflanzenschamanismus ist nach meiner Auffassung eine wichtige Säule der schamanischen Beschäftigung mit Naturgeistern.
In der „Michael-Harner-Technik“ geht der Schamane folgendermaßen vor: Er eröffnet sein Ritual oder die Heilsitzung, macht dann einen Spaziergang in der Natur und bittet die Geister der Natur, ihm eine Pflanze zu zeigen, die dem Klienten in seiner Situation helfen kann. Die betreffende Pflanze macht den Schamanen auf sich aufmerksam indem z.B. ihre Blätter zittern (ohne dass ein Wind geht), sich in einen Lichtschein hüllt (also dass z.B. plötzlich die Sonne durch die Baumkronen genau auf sie scheint) oder einfach dem Schamanen besonders auffällt. Der Schamane fragt innerlich, ob diese Pflanze ihm helfen wird. Kommt ein Ja, nimmt der Schamane einen kleinen Teil der Pflanze ein, zum Beispiel ein Blättchen (Obacht! Vorher bitte die Pflanze sicher bestimmen, so ein Eisenhutblättchen ist nicht so prickelnd…) und kehrt dann wieder zum Klienten zurück, wo er eine schamanische Reise macht zu dem Platz, wo er die Pflanze in der alltäglichen Wirklichkeit gefunden hat (der geübte Kollege erkennt: das ist eine Mittelweltreise) und die Pflanze bitte, sich als Geistwesen zu zeigen. Ich selber erlebe in diesem Moment, wie ein Naturgeist aus der Pflanze heraustritt. Dieser Geist gibt dem Schamanen Informationen, die dem Klienten helfen, wieder heil zu werden. Das können praktische Anweisungen sein („entrümple mal dein Leben!“) oder Durchgaben von Anwendungsweisen der Pflanze („trink mich als Tee und räuchere mich jeden Abend!“) oder er betreibt auch aktive Heilarbeit am Klienten (die emsigen Feen). Das Jivaro-Konzept des Pflanzenschamanismus ist einfach und genial. Der Pflanzengeist gibt den Schamanen einen Teil seiner Kraft als „Tsentsak“, was man als „Geisterpfeil“ übersetzen kann (und jetzt erinnern Sie sich bitte an die Geschichten von „Feenpfeilen“, die Menschen krank machen – na, fällt der Groschen?). Üblicherweise wird dieser Teil des Pflanzengeistes vom Schamanen auf der Reise verschluckt, genauso wie das Blättchen vor der Reise. Der Schamane hat jetzt den Tsentsak immer bei bzw. in sich. Dieser Tsentsak zeigt sich dem Schamanen als Kleintier, meist als Insekt, Spinne oder Schlange. Der Clou hier ist, dass sich im Jivaro-Paradigma sich Krankheitsgeister, die im Klienten rumlungern, ebenfalls als die genannten Tiere im Energiekörper erscheinen. Nur wenn der Schamane einen Tsentsak, der genau wie der Krankheitsgeist aussieht, hat, kann er die Krankheit schamanisch behandeln. Er schießt seinen Tsentsak auf den Geist der Kranheit und bändigt ihn auf diese Art und Weise. Wer aufmerksam gelesen hat wird hier einen Leitsatz der Homöopathie wiedererkennen….
Das ist die „südamerikanische“ Weise des Pflanzenschamanismus.
Diese Kunst sollte man unbedingt in einem Seminar lernen, wenn man damit mit Klienten arbeiten will, weil sie nicht ganz ohne ist. Manchmal ist diese Arbeit mit Krankheitsgeistern nicht ungefährlich und oft ekelig. Die Jivaro arbeiten gerne mit Saugtechniken, indem sie den Tsentsak in den Klienten dort reinblasen, wo der Krankheisgeist sitzt und hernach den bezwungenen Krankheitsgeist heraussaugen. Hierbei muß man höllisch aufpassen, dass der Kranheitsgeist nicht ausbüxt oder sich gar im Schamanen einnistet. Der Tsentsak übernimmt im besten Falle den Job, den „bösen“ Geist zu kontrollieren und zu eliminieren. Deswegen haben südamerikanische Schamanen oft einen Assistenten bei ihren Heilsitzungen bei sich, der im Bedarfsfall sofort eingreifen kann. Man merkt das kriegerische Element – was übrigens gerne von Esoterikern übersehen wird. Schamanismus ist auch Kriegskunst. Viele Schamanen verwenden die Tsentsaks nicht nur für heilerische Zwecke…
Eliot Cowan beschreibt in seinem Büchlein „Pflanzengeist-Medizin“ (das manchmal noch antiquarisch erwerbbar ist) einen etwas anderen Weg des Pflanzenschamanismus. Er folgt nicht streng dem „Tsentsak-Paradigma“, sondern schaut das Krankheitsbild des Klienten an und konsultiert denjenigen Pflanzengeist, der geeignet ist, hier Abhilfe zu schaffen. Eliot ist hier nicht so martialisch und verfolgt weniger das „Gleiches mit Gleichem“-Paradigma. Ein Beispiel mag das veranschaulichen: Ein Klient leidet an Traurigkeit und das Gefühl, nicht geliebt zu werden. Der Schamane sucht einen Pflanzengeist, der ein Experte in diesen Gefühlen ist – vielleicht weil er es selber kennt (beispielsweise weil er als „Unkraut“ verhasst ist) oder weil er die Power hat, den Klienten aus dem Tief zu holen. Der Südamerikaner würde die Krankheit, die die Traurigkeit ausgelöst hat, im Klienten suchen und einen Tsentsak reinschießen, der wie der Krankheitsgeist aussieht. Das Kleine Büchlein vom Eliot ist absolut empfehlenswert.
Natürlich haben unsere Ahnen nicht wie die Jivaro oder andere südamerikanische Stämme mit den Pflanzengeistern gearbeitet, zumindest gibt dafür keine schriftlichen Quellen. Ich persönlich vermute allerdings, dass sie sehr wohl Pflanzengeister wahrgenommen und mit ihnen schamanisch gearbeitet haben. Zum Beispiel wird das Wort „Druide“ gerne als „Eichenkundiger“ gedeutet, und das Ritual, wo eine Mistel von einem Baum geschnitten wird, ist allgemein bekannt. Auch die Donareiche ist zu erwähnen. Und der Neunkräutersegen ist ebenfalls zu erwähnen. In dem wird der Geist des Beifuß beschworen. Kombiniere ich diese Informationen mit meinen eigenen schamanischen Erlebnissen mit Baumgeistern, gehe ich persönlich davon aus, dass das Druidentum eine Art „Baumschamanismus“ war. Übrigens gibt es hier eine verblüffende Parallele im südamerikanischen Schamanismus: dort gibt es verschiedene „Schamanenkategorien“. Die „Ayahuasceros“ sind mittlerweile recht bekannt, das sind diejenigen, die mit Ayahusca arbeiten (und viele machen damit ein schnelles Geld…), aber es gibt Schamanen, die ihr Wissen von den Bäumen bekommen haben und von den Natives als die weisesten Schamanen überhaupt angesehen werden – was eine frappierende Ähnlichkeit zu den Beschreibungen der Druiden darstellt.
Als ich mich mit dem Pflanzenschamanismus beschäftige, trugen mir die Geister auf, Pflanzentinkturen auf eine alchimistische Art und Weise herzustellen (diesen Zweig der Alchimie nennt man Spagyrik). Das ganze Programm: Vergären, Destillieren, Veraschen und so weiter. Ich wurde angewiesen, diese Prozesse mit schamanischen Reisen zu begleiten, ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mit den Geistern, die ich in der schamanischen Trance in der Destille wahrgenommen habe, kommuniziert habe, was mich stark an die „dietas“ der südamerikanischen Kollegen erinnerte. Dort erwirbt der Schamane eben auch nicht nur durch die beschriebene Technik vom Harner die Pflanzengeister, sondern er durchläuft einen Prozess, der wochenlang dauern kann, was man „dieta“, also „Diät“ nennt, was auf die Essenstabus, die während dieser Zeit eingehalten werden müssen, anspielt. Oft lebt der Schamanenanwärter während dieser Zeit in völliger Isolation, nimmt die Pflanze und zusätzlich halluzinogene Substanzen ein, um den Geist der Pflanze kennenzulernen und muss viele Tabus einhalten, um den Pflanzengeist nicht zu verärgern. Die Natives beschreiben die Pflanzengeister als „eifersüchtige Frauen“ und die Beziehung zwischen den Schamanen und den Pflanzengeistern hat tatsächlich eine erotische Komponente. So darf der Schamane während der Dieta keinen S*x haben. Ich kann das witzigerweise bestätigen: in meinem „Alchimieexerzitium“ benahmen sich manche Pflanzengeister wirklich wie anspruchsvolle Diven und manche Baumgeister sehe ich als schöne „Baumfrauen“. Das Wort Dryaden passt hier wundervoll.
Aus diesem Grund glaube ich persönlich, dass seinerzeit die Alchimie der europäische Weg (oder Variante) eines „Pflanzenschamanismus“ (oder generell „Naturschamanismus“) war. Natürlich werden in den vorhandenen schriftlichen Quellen nicht „schamanische Reisen“ erwähnt, aber es ist durchaus vorstellbar, dass die alten Alchimisten mit veränderten Bewusstseinszuständen arbeiteten und dies NICHT explizit in ihren schriftlichen Aufzeichnungen vermerkt, sondern vielleicht mündlich weitergesagt haben (ähnlich wie die Druiden). Nicht umsonst wird die Alchimie als „Königsweg“ bezeichnet.