22/08/2024
Der Tag, an dem die Pflege verschwand.
Es war ein Donnerstag, irgendwann in der Zukunft. Die Sonne schien und Vögelchen trällerten ein Lied. Alles schien seinen gewohnten Gang zu gehen, doch eine Sache hatte sich verändert.
Alle Pflegekräfte waren verschwunden, das rege Treiben in Krankenhäusern, Wohngruppen, Heimen, ambulanten Diensten und vielen mehr war einer gähnenden Leere gewichen. Patienten irrten umher und suchten nach Hilfe, EKG Geräte piepten am Patientenbett vor sich hin und der schrillende Ton eines Beatmungsgerätes schallte durch die leeren Gänge. Die verbleibenden Ärzte versuchten ihr Bestes, um das Notwendigste zu erledigen, aber sie waren zu wenige, um diese Arbeitslast zu bewältigen. Diagnostik, Therapie und wichtige Eingriffe wichen Absaugen, Nahrung anreichen und der notdürftigsten Versorgung. Der regulär Betrieb kam vollständig zum Erliegen, Tabletten wurden nicht mehr verteilt und von vielen nicht mehr eingenommen, Schutzhosen nicht mehr gewechselt, die Ersten begannen nach kurzer Zeit sich wund zu liegen und einige lagen nach Stürzen vor ihren Betten, flehend um Hilfe, die nicht mehr kam. Einige Angehörige kamen durch die Nachricht in die Heime und Krankenhäuser, sie mussten die Arbeit niederlegen, um sich schnellstens um die liebsten zu kümmern. In der Chirurgie konnte niemand operieren, keiner nahm den Patienten in Empfang, der Saal nicht vorbereitet, das Besteck war nicht aufbereitet und auch niemand anwesend, der Handreichungen machte. Eine Alte Dame auf der Demenzstation läuft weinend und desorientiert halb n***t über die Gänge, hilflos in jedem Zimmer nach Hilfe suchend, während Kot und Urin an ihren Beinen herabläuft. In einem Zimmer, das sie betrat, hatte sich jemand den geblockten Dauerkatheter gezogen und saß fragend schauend mit dem blutigen Schlauch in der Hand da.
Ein Krankenwagen war in der Notfallaufnahme eingetroffen, die Rettungssanitäter standen in einem Flur mit wartenden Patienten, um die sich nur eine überforderte Notfallärztin kümmerte, die eigentlich hätte rausfahren sollen. Auf der Trage lag ein Mann, den man kurz zuvor aus seinem Wagen geschnitten hatte, er wurde bei einem Unfall eingeklemmt, seine offenen Frakturen nur im Rahmen der Möglichkeiten von der Feuerwehr versorgt. Ein Notarzt war nicht eingetroffen, denn dieser war im Krankenhaus beschäftigt, die dort Liegenden zu versorgen. Der Warteraum der NFA überfüllt mit wartenden Menschen, doch wer selbst noch laufen kann und nicht schwer verletzt ist, muss warten, Stunden, vielleicht sogar Tage, keiner weiß es.
Auf der Palliativstation stirbt gerade ein Patient, einsam, voller Schmerzen, keiner hält seine Hand, keiner wurde benachrichtigt, keiner, der die letzten Abzüge begleitet und ihn von dieser Welt verabschiedet.
In den Funktionsabteilungen wie Radiologie steht der Betrieb fast still, ein Arzt hat mehrere Hilfskräfte aus der Küche zusammengetrommelt und weißt sie rudimentär in einige Aufgaben ein, sowie den Abtransport derjenigen, die in Betten auf dem Flur stehen. Die Laborassistenten rennen durch die Flure und versuchen die ständigen Anrufe der Hilfe rufenden Ärzte abzuarbeiten und notfallmäßig Blut abzunehmen oder einzusammeln. Es kommt immer wieder zu Verwechslungen der Proben, denn nichts ist vorbereitet und der Assistent kennt die Menschen nicht, es ist keiner da der irgendwas noch groß koordiniert.
Entlassung findet nach dem Prinzip, wer laufen kann und nicht in Lebensgefahr schwebt, muss gehen, statt. Kein Brief, nur ein paar Anweisungen eilig auf einen Zettel gekritzelt, um die nächsten Tage zu überstehen.
Es ist gegen Mittag als bekannt wird, dass Zuhause Menschen aufgefunden wurden, sie hatten ihre Blutdruckmedikamente nicht eingenommen oder Notfälle waren nicht erkannt worden. Da keiner ambulant sie besucht fällt auch die Überwachung aus, nur einige Angehörige sind anwesend und übernehmen die Aufgaben. In einem Haus liegt eine Frau tot auf dem Boden, sie hätte morgens noch gerettet werden können, wenn jemand gekommen wäre, doch jetzt ist alles zu spät. Sie hat keine Kinder und wird auch in einigen Wochen noch hier liegen, aufgedunsen, faulend, bis der Geruch und die Fliegen die Nachbarn alarmiert oder auch nicht.
Diese Geschichte ist nur Fantasie, doch sollten wir uns fragen, welche Auswirkungen das Verschwinden der Pflege neben unserer Gesundheit auch auf unser gesellschaftliches Leben hat. Die Anzahl der Beschäftigten sinkt jedes Jahr messbar. Abteilungen werden geschlossen, Gebiete nicht mehr versorgt. Häufig merken wir erst dann, dass etwas fehlt, wenn es nicht mehr da ist, doch sollten wir es so weit kommen lassen? Es ist nicht nur eine politische, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe, die Menschen zu unterstützen, auf die jeder in seinem Leben einmal angewiesen ist. Das Ganze beginnt bereits mit Respekt vor diesem wichtigen Berufsfeld und führt sich weiter in der Rückendeckung politischer Entscheidungen. Gemeinsam können wir etwas ändern, ansonsten könnte irgendwann dieses Szenario immer mehr Realität werden, vielleicht nicht von heute auf morgen, aber schleichend.
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Gruß, Euer Tim