17/01/2024
Kreisende Beziehungsprobleme
Traumabonding zur Innerbonding
Warum gibt es Menschen in unserem Leben, die uns nicht guttun? Warum ziehen wir die "gleichen" Partner an? Warum bleiben wir in Beziehungen, die uns emotional schaden, länger als es uns guttut? Warum erleben wir mit verschiedenen Menschen fast die gleichen Konflikte, immer und immer wieder? Ähnliche, konfliktgeladene Situationen?
Es ist gut, einen Blick aus der Metaperspektive auf die Entstehung unserer Beziehungsmuster zu werfen. Es ist meiner Meinung nach das Einzige, was wir zu diesem Thema alle gemeinsam haben. Es sind nur die Rahmen, und das Bild in den Rahmen ist genauso einzigartig wie jeder von uns selbst einzigartig ist.
Wir kommen auf die Welt und sind absolut schutzlos und wehrlos. Unser Überleben hängt von unseren Bezugspersonen ab, im besten Fall von unseren Eltern. Unsere Bezugspersonen vermitteln uns das Gefühl von Sicherheit; wir werden umsorgt und erleben Nähe und Verbundenheit, wenn alles gut läuft. Diese Erfahrungen sind entscheidend für unser Überleben in dieser Welt. Sobald wir auf eigenen Beinen stehen und laufen können, beginnen wir, die Welt zu erkunden. Jeder unserer Schritte, jedes Verhalten und jede Handlung ruft Reaktionen in unserer Umgebung hervor. Diese Reaktionen basieren entweder auf Anerkennung oder auf Ablehnung. Wir folgen den Impulsen unserer inneren, ursprünglichen Charaktereigenschaften oder unseres Grundtemperaments, und unsere Umgebung lässt uns schnell spüren, dass es unerwünschte und erwünschte Verhaltensweisen sowie Persönlichkeitsanteile in uns gibt.
Wir beginnen, ein Verhaltensrepertoire zu entwickeln, um Anerkennung zu "verdienen" und fühlen uns sicher, wenn wir Zuwendung erhalten. Die Zuwendung, Nähe und Verbundenheit zu den Bezugspersonen sind entscheidend, um in dieser Welt zu bestehen. Die Bezugspersonen vermitteln uns das Gefühl der lebenserhaltenden Sicherheit.
In den ersten Jahren unseres Lebens machen wir die Erfahrung, dass die lebenserhaltende Sicherheit, die uns die Nähe zu den Bezugspersonen garantieren sollte, nicht so ohne Weiteres uns zuteilwird.
Wir werden mit Erwartungen konfrontiert. Erwartungen, wie wir sein sollen, wer wir sein sollen, was wir leisten sollen. Nicht immer stimmen diese Erwartungen mit der ursprünglichen Essenz unserer Persönlichkeit, dem Kern unseres Urwesens, überein. Sie sind nicht immer gerecht, freundlich und wohlwollend. Je weniger die Erwartungen mit unserer wahren Essenz in Resonanz stehen, desto mehr entfernen wir uns notgedrungen von unserem Urwesen.
Die Ablehnung gegenüber Verhaltensweisen und Reaktionen, die nicht den Erwartungen entsprechen, fühlt sich wie eine Bedrohung an, eine existenzielle Gefährdung, besonders in jungen Jahren. Natürlich wird eine Familie ihr Kind nicht gleich auf die Straße setzen, wenn es den Vorstellungen seiner Umgebung nicht entspricht, aber kleine Kinder empfinden es genauso. Als kleine Wesen, unfähig allein zurechtzukommen, spüren wir die dunklen Arme der Todesangst, die sich um uns schließen, wenn sich eine Bezugsperson von uns abwendet. Alles dreht sich um die Aufgabe des Überlebens, des Bestehens in dieser Welt. Wir brauchen die anderen, um das zu schaffen.
Die früh erlebte Ablehnung unserer ursprünglichen, unerwünschten Persönlichkeitsanteile zu überstehen, erbringen wir alle als Kinder im Verlauf unserer Entwicklung eine Meisterleistung. Wir erschaffen ein bestimmtes Muster. Dies geschieht komplett unbewusst, und obwohl es mit unserem Verstand möglich ist, die meisten Muster zu erkennen, ist es unmöglich, in irgendeiner Weise darauf Einfluss zu nehmen. Wir verdrängen die unerwünschten Persönlichkeitsanteile in uns und erschaffen neue, "bessere", die in diese Welt passen. Ab diesem Zeitpunkt leben "zwei Seelen" in unserer Brust: die eine, der "darf-nicht-sein-Teil", der immer die Bühne des Lebens räumen muss für den "so-bist-du-richtig-Teil", ein überlebenskompetenter Selbst-Anteil.
Im Fall von Traumata verlieren wir unsere Essenz komplett aus den Augen. Die Selbstentfremdung führt uns dann auf einen uns und unserem Urwesen befremdlichen Lebensweg, in Beziehungen und im Beruf.
Sollte alles nicht so drastisch verlaufen sein und wir besonders weltoffene Eltern gehabt haben, die uns den Raum zur Entfaltung freigehalten haben, kommen wir irgendwann in die Schule. Das dem wirtschaftlichen System dienende Schulwesen wirkt wie eine seelische Einheitspresse für sämtliche Erscheinungsformen der Individualität und Einzigartigkeiten. Das vor 300 Jahren entstandene industrielle Wertesystem hat genügend Generationen durchlaufen, um sich im Erziehungsstil der Familien festzusetzen. Die Lebenswerte, die uns von der industriellen Weltmacht indoktriniert wurden und Konsum als oberstes Lebensziel implizieren, sowie das Idealbild jedes Einzelnen, sowohl für Frauen als auch Männer, das auf Leistung und äußere Attraktivität abzielt, sind unbemerkt zum Maßstab sozialer Tauglichkeit geworden.
Nicht zu unterschätzen ist die kirchliche Indoktrination, die uns seit mehreren Jahrhunderten vermittelt, dass wir als Sünder geboren werden. Wir kommen auf die Welt, und der christliche Glaube empfängt uns gleich als fehlerhaft und als unwürdig für alles Gute in dieser Welt. Dieses Wissen durchdringt mit der Muttermilch unseren Wesenskern, indem wir annehmen, dass wir falsch sind. Es ist tief in unser Unbewusstes eingepflanzt, unabhängig davon, ob man in einer christlich praktizierenden Familie geboren wurde. Die alles durchdringende Atmosphäre und die über Generationen entstandenen Grundannahmen atmen wir mit der Luft ein und verinnerlichen sie mit jeder Körperzelle, ohne es bewusst bemerkt zu haben
Es sind mächtige Einflüsse, und sie bleiben für viele lebenslang unbemerkt. Sie alle haben dazu beigetragen, dass wir innere Muster erschaffen, die uns helfen sollen, in dieser Welt zu bestehen. Eine dynamische innere Struktur aus inneren Wunden der Ablehnung, den abgelehnten, verbannten Seelenanteilen und den überlebenskompetenten Selbst-Anteilen mit den nun von der äußeren Welt anerkannten Persönlichkeitsaspekten. Das ist eine innere Landschaft, die einem geordneten, verbrannten Wald gleicht und zu einer leblosen, monotonen Ackerkultur werden soll. Dass dort kein Frieden herrscht, ist kein Wunder. Die Wunden, Verletzungen und verbannten Selbst-Anteile bleiben nicht unbemerkt. Die meisten Menschen sind mit ihren Klagen und Rufen überfordert, die Symptome sprechen für unsere verdrängten Selbstanteile: kreisende Beziehungsprobleme, Depressionen, PTBS, Alkoholsucht, etc. - alles äußere Ausdrücke innerer Polarisierung zwischen unserer Ur-Essenz und den überlebenskompetenten Selbst-Anteilen.
Die daraus entstandenen Muster bleiben für uns unsichtbar. Wir öffnen oder halten die Tür für Menschen, die unseren "so-bist-du-richtig-Teil" in uns würdigen, bestätigen und verstärken. Je nach Art der Urwunde sind es nicht selten toxische Persönlichkeiten, die unsere tiefe Konditionierung für sich nutzen. Wir gehen Beziehungen ein, sei es zu Partnern, Freunden, Arbeitgebern oder im besonders tragischen Fall in der Therapie oder Beratung. Wir sind in soziale Strukturen eingebettet und erfahren einen Anschein von Sicherheit. Und leiden, weil der "nicht-sein-darf-Teil" Zurückweisung erfährt.
Ich schlage gerne die Brücke zu den Märchen-Archetypen, denn die Sprache der Bilder ist die, die unsere Seele versteht. Die Sprache des Verstandes sind die Wörter, und mit ihnen können wir das Unbewusste nicht einmal berühren. Die uralt überlieferten Märchen tragen Weisheit über die Zeiten hinweg, als die Intuition noch nicht wissenschaftlich verpönt war. Sie erzählen uns bildhaft von den Mustern in uns. So können wir alle das Schicksal von Schneewittchen verstehen, das Schicksal unseres 'die-nicht-sein-darf-Teils', der erst verbannt und dann auch noch vergiftet wurde. Die böse Königin, die als alte Frau Schneewittchen aufsuchte, repräsentiert den Missbrauch als Folge seelischer Gewalt, die viele Gesichter hat.
Die Muster zu sehen, bedeutet, die Muster zu fühlen. Um Schneewittchen hinter den sieben Bergen zu finden, brauchen wir einen Prinzen, den erwachten Teil in uns, der sich auf die Suche macht. An wen wenden wir uns, wenn wir unsere verstoßenen, vergifteten inneren Ich-Anteile suchen? Wir richten unsere Schritte auf vielversprechende Therapien und Heiler. Und hier kommt die nächste Herausforderung.
Wir suchen Heilung, und subtil senden wir an das ungewollte Teil in uns eine Botschaft, dass etwas in uns krank ist, also falsch und verkehrt. Der "nicht-sein-darf-Teil" in uns, das ungeliebte Kind, das an der Urwunde verharrt, fühlt sich wieder bedroht und zieht die Schutzmauer um die Urwunde noch höher. Deshalb bringen Jahrzehnte Therapien höchstens Linderung, aber keine Heilung. Wir merken oft nicht, dass in Therapien und Heilmethoden an dem schlafenden Schneewittchen unsanft gerüttelt wird und der Rapunzel Turm mit Kanonenkugel gestürmt wird.
Das innere System ist sehr sensibel, und alle Selbst-Anteile, wie der Käfer und die Maus in Däumelinchen oder sogar die Stiefmutter und bösen Schwestern in Cinderella, haben ihren Anteil am Vorantreiben des Happy Ends. Sie sind ein Teil der kompletten Geschichte. In Therapien, die im Sinne des industriellen, auf Maschinen setzenden Zeitalters fungieren, geht man von kaputten, austauschbaren Komponenten der Psyche aus. Hier spreche ich von schweren Persönlichkeitsstörungen, von Menschen, die unter kreisenden Beziehungsproblemen und den daraus resultierenden Depressionen und Süchten leiden. Die Therapie, die uns suggeriert, dass wir etwas in uns reparieren müssen, hat eine Schlaghammer-Wirkung auf diese inneren Überlebenssysteme.
Gibt es in irgendeinem Märchen einen Prinzen, der mit Schwert und Pferd auf die Prinzessin losdonnert? Ich habe noch nie davon gehört. Die Prinzessinnen werden sanft geküsst, die Rapunzel wird gebeten, ihr Haar herunterzulassen – eine Einladung zum Kontakt und nicht eine Förderung, gleich in den Turm reinzustiefeln zu dürfen. Dieses innere System ist aus guten Gründen entstanden und braucht einen würdigenden Umgang. Es ist einzigartig, wie jede unserer Geschichten, wie auch die Märchen es sind.
Wir brauchen Begleitung in diesem Prozess, die uns einen Rahmen bietet, allen diesen inneren Anteilen würdig zu begegnen. Wenn wir nur einen Teil der Geschichte würdigen, egal welchen, entsteht zwangsläufig die Annahme, dass der Rest falsch ist, vielleicht krank oder kaputt. Die Zurückweisung der inneren Selbst-Anteile, die sich (Gott sei Dank) mit Wut und Hass gegen den Tod behaupten, versuchen, die darauffolgende Ohnmacht, die unterdrückenden Maßnahmen gegenüber denen, wir uns unseren inneren Anteilen ausgeliefert fühlen, die Vernichtungsmaßnahmen unter dem Mantel der Hilfe und Zuwendung.
Kein Wunder, dass Menschen das Vertrauen in die Therapie verlieren. Wie viele hässliche Entlein gibt es unter uns, die nie zu Schwänen werden, weil sie nie einen anderen Schwan als Spiegelbild hatten und bis heute glauben, eine hässliche Ente zu sein? Falsch, fehl am Platz, unfähig, dumm, hässlich – vom Pech verfolgt?
Wendet sich der Mensch von den systemdienenden Maßnahmen ab und sucht Zuflucht in der Spiritualität, fällt er vom Regen in die Traufe. Über der Garde der Heiler, die versuchen, Rapunzels Turm zu stürmen, schwebt jetzt eine spirituelle rosa Wolke. Vergebungsgalgen und Aufforderungen zum Loslassen peitschen weiteren Verrat gegenüber den tief verletzten Seiten in uns, den zurückgewiesenen, einst verratenen Persönlichkeitsanteilen, den "die-nicht-sein-darf-Teilen", entgegen. Schneewittchen wird endgültig von der Stiefmutter ersetzt, Rapunzel darf auch bleiben, wo sie ist, und Cinderella soll sich im Haushalt mehr anstrengen, dann werden die Schwestern nicht böse.
Wut und Hass, die Emotionen, denen wir zu verdanken haben, dass die Menschheit nicht ausgestorben ist, werden ganz klar aus der Liste der zulässigen Gefühle gestrichen, verschlossen unter sieben Siegeln. In der Therapie werden sie zumindest geduldet. In den spirituellen Szenen werden sie ins Licht geschickt, wegmeditiert, transformiert, und als Erklärung für alles Leid werden Rapunzel und Schneewittchen die nassen Karma-Lappen um die Ohren geklatscht. Das ist besonders tragisch für traumatisierte Menschen, da es die ohnehin schon peinigenden Schuldgefühle verstärkt. Die spirituelle Welt wimmelt von toxischen Persönlichkeiten, spirituellen Überfliegern mit erhobenen Lehrfingern, Liebe predigenden Obergurus und deren Nachahmern, die alles besser machen.
Ich spreche hier aus intensiven 15 Jahren Erfahrung mit Therapien, darunter drei Aufenthalten in Trauma Kliniken, und ebenso 15 Jahren in spirituellen Kreisen. Als das Leben mich unter traumatisierenden Ereignissen die letzten Ableger der spirituellen Gewächse entledigte, begann ich die Reise zu meiner Urwunde. Vom Gott und Teufel verlassen, zum Glück auch mutterseelenallein, machte ich mich auf den Weg in mein inneres Königreich.
Nach einer schamanischen Ausbildung, Trauma Kliniken und vielen Wissensquellen zeichnete sich für mich ein Weg ab, wie ich das Schneewittchen finden kann. Erst einmal finden ist schon eine Herausforderung. Wut und Hass sind oft einfach nur die Boten, die Versandten der Urwunde. Wenn ich diesen Gefühlen in mein Inneres folge, habe ich die Chance, allen verstoßenen, verratenen inneren Kindern – Rapunzel, Schneewittchen und Cinderella – zu begegnen. Keine leichte Aufgabe, da sie sehr schnell wieder in ihren unsichtbaren Verstecken verschwinden, sobald sie einen Hauch von Transformation oder Heilkonzepten auf sich prasseln spüren. Das brauchen sie nicht. Sie brauchen gesehen und gehört zu werden. So viele Jahrzehnte wurden sie nicht gesehen.
Das ist Liebe. Die verzweifelten Rufe, den Verbannten zu erhören, die Gefühle in uns zu würdigen, auch Hass und Wut, weil sie aus den Tiefen unseres Seins zu uns kommen, um uns darauf hinzuweisen, dass uns Ungerechtigkeit und Leid zugefügt wurden. Ohne Hass und Wut gäbe es die Menschheit nicht, da jeder Ungerechtigkeit und Leid einfach hinnehmen würde. Ohne diese Gefühle würden wir uns ohne weiteres unsere tiefste Essenz auslöschen lassen. Auch wenn es sich befremdlich anfühlen mag, diese Gefühle sind der Ausdruck wahrhaft verstandener Liebe! Sie sind Selbstliebe, sie fordern uns auf, uns selbst endlich zuzuwenden, auf ehrliche, authentische Art und Weise! Uns eine vollständige Daseinsberechtigung zu erteilen, mit allen ungewollten und erwünschten inneren Kindern in uns. Das ist wahre Spiritualität: nichts auszuschließen.
Die industrielle Entwicklung und die Indoktrination von Werten haben uns das Vertrauen in das, was wir sind, genommen. Wir haben es durch Vertrauen in das, was wir machen, ersetzt. In meinen Augen sind wir alle aus diesem Grund traumatisiert. Ganze Familien, Generationen, Nationen – es ist ein globales Thema. Nicht falsch verstehen, Traumata und Verletzungen sind Teil des Lebens, wir kommen nicht um sie herum. Trauma wird uns buchstäblich mit der Geburt in die Wiege gelegt. Als vor ein paar Milliarden Jahren eine Zelle eine Membran um ihre inneren chemischen Prozesse schuf, wurde das Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit geboren, und es gab äußere Umstände, die dies angriffen. Dort hat es mit dem Trauma begonnen.
Das ist nicht der Punkt. Es geht darum, wie gehen wir damit um? Versuchen wir es mit aller Gewalt wegzukriegen? Oder schauen wir hin und machen uns auf den Weg, der unsere menschliche epische Reise als Individuum repräsentiert, ein einzigartiger und unverwechselbarer Ausdruck des Lebens, eingebettet in das galaktische Netz von Milliarden von Individuen und einzigartigen Erscheinungsformen. Trauma ist wie ein Erwachen aus einem Traum, Trauma ist eine Quelle des Wissens, der einzigartigen Kraft, die Einzigartigkeit. Sie kann uns helfen, das Leben besser zu verstehen und wirklich zu lernen, zu leben. Sie kann der Initiationspunkt des Erwachens sein, um zu der Quelle, zu unserer Essenz zurückzufinden. Vertraue in das, was du bist, vertraue in das, was du fühlst und was du wahrnimmst. Damit endet die Schleife der Gewalt. Vertraue in das, wer du bist.