13/10/2024
Warum eine Diagnostik Sinn macht
"Ich möchte nicht, das mein Kind durch eine Diagnose abgestempelt wird", ist häufig zu hören.
Das Stigma entsteht nicht durch die Diagnose, sondern durch die Vorurteile der Menschen. Und darüber reden und aufklären wirkt antistigmatisierend.
Dabei ist die Diagnose wichtig und hilfreich, um
-einen Nachteilsausgleich zu bekommen👍
-Eingliederungshilfen zu bekommen👍
-Therapien zu bekommen👍
-zusätzliches Unterstützungspersonal (Schulbegleitung..) in der Schule zu bekommen👍
-Hilfsmittel zu bekommen👍
-eventuell eine Webschule bzw. eine Kurzbeschulung genehmigt zu bekommen👍
-Anspruch auf Fahrtendienst zu haben👍
-einen Pflegegrad und damit einen bescheidenen finanziellen Ausgleich für die oft sehr belasteten Familien zu bekommen👍
-(Österreich): erhöhte Familienbeihilfe zu bekommen👍
-….
Das heißt: Die notwendige Unterstützung wird versagt, wenn ich keine Diagnose bekomme!
Weiterer wichtiger Aspekt, der für eine Diagnose spricht: Wenn das Verhalten eines Kindes auffällig ist und es keine Erklärung dafür gibt, setzt es „pädagogische“ Maßnahmen, die dem Kind nicht gut tun, werden die Eltern beschuldigt, das Kind „nicht erzogen“ zu haben.
Das Kind hat die gesellschaftlichen Normen zu erfüllen, die Erwartungshaltungen sind groß. Weiß die Umgebung, dass das Kind im Autismusspektrum ist, wird ein Verhalten außerhalb der Norm viel eher toleriert, gibt es viel mehr Verständnis für jegliches Anderssein (das Anderssein ist ja auch ohne Diagnose sichtbar).
Das Thema Autismus-Spektrum kommt im Medizinstudium oder im Psychologiestudium nur am Rande vor, ebensowenig in der Psychotherapieausbildung.
Es kann daher nicht vorausgesetzt werden, daß alle Kinderärzte, Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen Autismus in jedem Fall gleich erkennen. Bei Verdacht auf Autismus Spektrum bitte deshalb unbedingt eine spezialisierte Fachkraft aufsuchen, die fundierte Kenntnisse hat und sich schon jahrelang mit Autismus beschäftigt. Autismus auch dann zu erkennen, wenn es kein Vollbild eines frühkindlichen Autismus ist, erfordert eine Spezialisierung und viel Erfahrung!
Nicht jede KJP, nicht jedes SPZ, nicht jede niedergelassene klinische psychologische Diagnostikerin ist in der Lage, eine Autismusdiagnostik zu stellen. Das liegt daran, dass es wirklich schwer sein kann, Autismus zur diagnostizieren:
Wird die Diagnostik nicht im frühen Kindesalter zwischen zwei und fünf Jahren gemacht, haben viele Kinder schon gelernt, sich anzupassen, zu verstellen, zu "maskieren".
Weniger erfahrene Diagnostikerinnen kommen dadurch häufig bei der Auswertung der Tests zu einer falsch negativen Diagnose.
Eine umfangreiche Vorbereitung auf das Erstgespräch bei der Diagnostikstelle ist sehr hilfreich:
-ein Auflisten aller auffälligen Verhaltensweisen, also eine ausführliche Dokumentation
-eventuell auch Fotos und Videoaufnahmen
-Befragen von anderen Personen, die das Kind gut kennen und auch diese Beobachtungen einfließen lassen
Eine Autismusdiagnostik kann sehr gut ambulant durchgeführt werden. Es ist nicht nötig, ein Kind dafür stationär aufzunehmen. Im Gegenteil, eine stationäre Aufnahme ist gerade für Autisten – Kinder, Jugendliche und Erwachsene - eine Riesenbelastung und oft auch traumatisierend!
PDA: PDA steht für "Pathologic Demand Avoidance"; ein Teil der Autisten hat ein PDA-Profil. Pathologic Demand Avoidance wird zur Zeit in den deutschsprachigen Ländern von der Fachwelt noch kaum anerkannt, nur sehr wenige Diagnostikerinnen und Kinder- und Jugendpsychiaterinnen haben sich bereits mit PDA beschäftigt. Offiziell **kann **es (im DACH-Raum) gar nicht diagnostiziert werden. Ein Wissen über PDA und damit ein Berücksichtigen bei der Diagnostik wäre wünschenswert, da ist jedoch noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Im ICD-11 wird auf die Demand Avoidance bereits hingewiesen, bei der Diagnostik nach ICD-11 kann bei einer Autismusdiagnose als Unterpunkt "Demand Avoidance" angegeben werden!😀