14/10/2021
gut in Worte gefasst
Seit kurzem liest man in österreichischen Medien die Schlagzeile „Physiotherapie ab 2022 auf Kassenkosten“. Die Kommentare darunter zeigen, dass Leser*innen (natürlich!) verstehen, man muss dann nirgends mehr für Physiotherapie bezahlen. In der Presseaussendung der Österr. Gesundheitskasse heißt es: „ÖGK setzt Physiotherapie auf Kassenkosten um – Österreichweite Versorgung gesichert“⠀
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Das klingt ziemlich eindeutig. Ist es aber nicht. Hier die Fakten:⠀
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In Ö gibt es über 11.000 niedergelassene Physiotherapeut*innen. Davon hatten bisher 290 einen Kassenvertrag, sodass die Therapie für deren Patient*innen kostenfrei war. Der große Rest ist im Wahlbereich tätig, d.h., Patient*innen müssen die Behandlung selbst bezahlen und bekommen dann einen Teil der Kosten von der Krankenkasse rückerstattet.⠀
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Was hat sich nun geändert?⠀
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- Die Anzahl der Kassenverträge wird von 290 auf 590 angehoben. Selbst wenn alle vergeben werden, ist die Behandlung durch die restlichen über 10.000 Wahlphysios natürlich nach wie vor nicht kostenfrei für Patient*innen. Von einer flächendeckenden Versorgung kann daher keine Rede sein. Die Schlagzeile ist einfach irreführend.⠀
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- Es sind in Zukunft in allen 9 Bundesländern Kassenverträge verfügbar. Bisher waren es nur 5.⠀
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- Die Tarife werden harmonisiert und erhöht, d.h. Kassenphysios werden in Zukunft großteils (je nach Bundesland) besser bezahlt als vorher und Patient*innen von Wahlphysios bekommen mehr zurück als vorher. Trotzdem ist das natürlich immer noch wenig. Nach wie vor muss ein großer Teil der Kosten aus eigener Tasche bezahlt werden und Kassenphysios werden auch zukünftig nur für wenige zur Verfügung stehen. Die besseren Tarife im Wahlbereich werden außerdem erst dann wirksam, wenn 60% der Planstellen für Kassenphysios besetzt sind.⠀
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Hier in Niederösterreich sind in meiner Gegend alle Physios hoffnungslos überlaufen, die Wartezeiten betragen Wochen bis Monate. Von den 2000 Niedergelassenen in NÖ werden zukünftig 90 einen Kassenvertrag haben – sofern sich genügend bewerben. Denn wie die meisten Gesundheits-/Sozialberufe werden wir nach wie vor schlecht bezahlt, sodass der Anreiz für einen Kassenvertrag für viele nicht besonders hoch ist. Nicht umsonst sagt Constance Schlegl, Präsidentin des Berufsverbands Physio Austria, die neue Rahmenvereinbarung mit der ÖGK sei ein „erster Schritt“. Ohne Zweifel ist das ein großer Erfolg, den unser Verband hier in zähen Verhandlungen erkämpft hat. Aber von einer fairen Bezahlung unseres mittlerweile akademischen Berufs sind wir immer noch weit entfernt, und der Bedarf an Physio wird durch die Überalterung weiterhin steigen.
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Wie können wir dafür sorgen, dass die Stimme von uns „kleinen Physios“ in Zukunft mehr Gewicht hat? Indem möglichst viele von uns Mitglied bei Physio Austria werden. Bisher ist es nur etwa ein Drittel. Doch eine starke Berufsvertretung ist essentiell und kommt auch unseren Patient*innen zugute.⠀
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Hat euch die Schlagzeile auch verwirrt?
Ich freue mich, wenn ihr meinen Beitrag teilt!