15/01/2021
Obwohl die österreichische Impfstrategie vorsieht, dass Gesundheitspersonal mit hohem Infektionsrisiko zuerst - also JETZT - gegen Covid-19 geimpft wird (in Phase 1), bekommen niedergelassene Physiotherapeut*innen, die eindeutig in diese Gruppe fallen, keine Möglichkeit dazu, ja nicht einmal Informationen.
Physiotherapie darf und soll auch im Lockdown stattfinden, da wir laut Ministerium zur medizinischen Grundversorgung zählen. Entscheiden wir Selbstständige uns, aus Sicherheitsgründen trotzdem nicht zu arbeiten, bekommen wir daher im Gegensatz zu vielen anderen Berufsgruppen keinen Ersatz für die entgangenen Einnahmen. So weit, so gut.
Geschützt werden wir allerdings auch nicht. Meine FFP2-Masken und Schnelltests habe ich natürlich selbst bezahlt und keiner weiß, wie lange ich noch auf die Impfung warten muss. Als Physio gefährdet man nicht nur sich selbst und seine Familie durch die zahlreichen beruflichen Kontakte, sondern vor allem auch seine Patient*innen, die häufig in Risikogruppen fallen. Aus diesem Grund sieht der Impfplan ja vor, dass wir zeitnah geimpft werden - in der Theorie.
In der Praxis wird der selbstständigen Physiotherapeutin, die mit immunsupprimierten Krebspatient*innen, erkälteten Kleinkindern ohne Maske, Coronaleugner*innen mit zuvielen sorglosen Kontakten oder hochbetagten Demenzpatient*innen ohne Maskentoleranz arbeitet, bei der Impfung offenbar dieselbe Priorität eingeräumt wie dem 30jährigen Home-Office-Tätigen ohne Infektionsrisiko und ohne Kontakte zu Risikogruppen. Wir existieren nicht. Doch jede/r Physio ist ein potentieller Superspreader, vor allem in Anbetracht der neuen Virusmutation. Das kann man im besten Fall bedenklich nennen.
Es gibt auch viele selbstständige Physios, die dringend notwendige Hausbesuche in Altenheimen - also direkt bei der vulnerabelsten Gruppe überhaupt - machen. Da sie nicht angestellt sind, werden sie vielerorts nicht mit der restlichen Belegschaft (wozu zB auch Reinigungskräfte und Küchenpersonal zählen) geimpft und können nur auf die Kulanz der Heimleitung hoffen.
Ich persönlich arbeite seit Monaten nur in Ausnahmefällen in der Praxis und versuche stattdessen, so viele Einheiten wie möglich online durchzuführen. Warum? Wie erwähnt sind meine Patient*innen zu jung, um eine Maske zu tragen. Ich kann keinen Abstand halten und werde von den Kleinen häufig angeniest. Ausreichendes Lüften hat sich als nicht durchführbar erwiesen - es ist dann für meine kleinen Patient*innen viel zu kalt und ich müsste vor jeder Einheit sehr lange den Raum wieder aufheizen, und ihn dabei natürlich nicht betreten, denn ich bin ja u.a. selbst ansteckend. So kann ich vielleicht drei Patient*innen am Tag unterbringen. Und was mache ich mit den anderen? Einfach nicht behandeln? Das wäre verantwortungslos. Aber Onlinetherapie kann auf lange Sicht natürlich keine Therapie vor Ort ersetzen und kommt generell nur bei bestimmten Patientengruppen in Frage.
Hier die heutige Presseaussendung des Bundesverbands österreichischer Physiotherapeut*innen Physio Austria zum Thema Impfung:
Impfmöglichkeit für Physiotherapeuten jetzt! (Presseaussendung)
Zuständige stecken Kopf in den Sand.
Wien (OTS) - Personal im Gesundheitsbereich mit hohem Expositionsrisiko ist in Phase 1 zu verorten und damit primär zu impfen – behauptet die Darstellung „Corona-Schutzimpfung: Durchführung und Organisation“ des Gesundheitsministeriums. Die Realität? Was auf dem Papier so einleuchtend klingt, wird schlichtweg nicht umgesetzt. Physiotherapeuten finden nicht nur keine namentliche Erwähnung in den Ausführungen, das Bundesministerium reagiert auf mehrmaliges Urgieren seitens des Bundesverbandes Physio Austria schlichtweg nicht.
Während ärztliche Praxen dieser Tage mitunter schon die Möglichkeit erhalten, alle ihre Mitarbeiter impfen zu lassen – darunter fallen nicht nur Ärzte und Ärztinnen –, weicht man Nachfragen betreffend den gesamten niedergelassenen physiotherapeutischen Bereich gezielt aus. Auch weitere unmittelbar am Patienten tätige Berufsgruppen wie Ergotherapeuten, Logopäden und Diätologen werden aktuell im besten Fall vertröstet. Es ist unverständlich, warum der Impfplan vereinzelt Berufsgruppen erwähnt, aber die Angehörigen einer der größten gesetzlich geregelten Gesundheitsberufsgruppe – MTD-Berufe – gänzlich außen vor lässt.
Physiotherapeuten arbeiten mit direktem Körperkontakt. Eine physiotherapeutische Behandlung dauert zwischen 30 und 60 Minuten. Insbesondere Hochrisikopatienten sind aufgrund ihrer jeweiligen Vorerkrankung oder ihres Alters auf physiotherapeutische Behandlungen angewiesen. Unter ihnen befinden sich z. B.
COPD-Patienten, Menschen mit chronischen Lungenerkrankungen, die Atemphysiotherapie erhalten, COVID-19-PatientInnen in der Akut- und Rehabilitationsphase,
hochaltrige Patienten, die Physiotherapie zur Mobilisierung des Bewegungsapparats in Anspruch nehmen, oder
Menschen mit Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, der Leber, der Niere, Krebserkrankungen oder Adipositas, die Physiotherapie zum Erhalt der Lebensqualität und Eigenständigkeit benötigen.
Die physiotherapeutische Behandlung dieser Menschen kann nicht ohne Körperkontakt durchgeführt werden. Es ist nicht möglich, im Rahmen der Therapie einen Mindestabstand einzuhalten. Sowohl für Patienten als auch für Physiotherapeuten selbst ist das COVID-19-Übertragungsrisiko daher ein großes.
Die gesamte Berufsgruppe der Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen – sowohl Physiotherapeuten im angestellten als auch im niedergelassenen Bereich – muss in Phase 1 die Möglichkeit der Corona-Schutzimpfung erhalten.
Physiotherapeuten tragen wesentlich zum Gesundheits- und Versorgungssystem bei und sind als gesetzlich geregelter Gesundheitsberuf systemrelevant.
Rückfragen & Kontakt:
Physio Austria – Bundesverband der PhysiotherapeutInnen
Julia Stering, BA BA MA
Öffentlichkeitsarbeit
0699/15879975
oeffentlichkeitsarbeit@physioaustria.at
--
Ich freue mich sehr, wenn ihr meinem Beitrag viele Likes und Kommentare schenkt oder ihn teilt, damit Rudi Anschober und das Gesundheitsministerium ihn hoffentlich auch lesen. Mir ist bewusst, dass es eine sehr schwierige Aufgabe ist, die Impfungen zu koordinieren und sinnvolle Prioritäten zu setzen, doch einer so großen Berufsgruppe mit hohem Infektionsrisiko die Kommunikation komplett zu verweigern, kann keine Lösung sein.
--
P.S.: Weil teilweise auf anderen Seiten empörte Kommentare kommen, dass Physios ja wohl nicht so wichtig sind und auch andere gerne schnell geimpft werden wollen: Es geht nicht um Eigeninteresse, sondern um die Eindämmung einer Pandemie. Aus diesem Grund wurde sinnvollerweise eine Impfstrategie entwickelt, die in Phase 1 nicht nur Risikopatient*innen, sondern auch Gesundheitspersonal als potentielle Superspreader zur Impfung vorsieht. Dann sollte das auch so umgesetzt werden, statt tausende Gesundheitsberufsangehörige unter den Tisch fallen zu lassen und mit deren Berufsvertretung nicht einmal zu sprechen.