20/10/2025
Hebamme Eva Schranz erzählt:
Das 1. Kind von A. und ihrem Mann kam knapp 3 Wochen zu früh auf die Welt, ein zartes Baby mit 2,5kg. Jetzt wird A. schon richtig ungeduldig, denn morgen hat sie Geburtstermin und es sind keine Wehen in Sicht. Das hatte sie nicht erwartet. Bei unserem Vorsorgetermin am späten Nachmittag beschließt sie, dass wir uns heute Nacht noch wiedersehen, denn sie hat den festen Vorsatz, endlich zu gebären. Ich habe nichts dagegen, aber mal sehen, was das Baby dazu sagt.
Um 23:00 läutet mein Handy. A. hat tatsächlich seit ca. 2 Stunden Wehen! Um Mitternacht treffen wir uns im Geburtshaus, erstaunt über das kooperative Baby im Bauch. A. kann es kaum glauben, dass es jetzt wirklich losgeht, sie freut sich sehr. Als ich um 0:40 den Muttermund untersuche, kann ich ihr mitteilen, dass es ganz sicher Geburtswehen sind, denn der Muttermund ist 5cm geöffnet und die Fruchtblase ganz prall. Noch während ich ihr erzähle, dass diese jederzeit platzen kann, sagt sie: „Jetzt rinnt’s!“ Da ist er schon, der Blasensprung! Das Fruchtwasser ist klar und es fließt und fließt reichlich. Wie erwartet werden die Wehen nun deutlich intensiver. Ich informiere Lena als 2. Hebamme, da es beim 2. Kind ja manchmal sehr schnell gehen kann. Hebammenstudentin Ricarda ist schon von Anfang an mit dabei. Alle 2-3min veratmet A. eine Wehe, mal sitzend, mal liegend. Noch wirkt sie nicht sehr gefordert, sie ist gesprächig. Für 20min probiert sie die Badewanne aus, findet dort aber keine angenehme Position. Um 2:40 klettert sie wieder aus der Wanne, das Baby turnt lebhaft. Eine Weile probiert sie aufrechte Positionen aus, sitzt auf dem Ball und kniet auf der Matte, doch die Seitenlage ist ihr im Moment doch am liebsten. Um 4:15 sagt sie: „Es schiebt schon runter.“ Das hören wir gerne und legen schon mal Handschuhe für die Geburt bereit, falls das Baby es nun eilig hat. Doch die Untersuchung um 4:45 (4 Stunden nach der letzten) ergibt ernüchternde 6cm - das Köpfchen dreht sich noch hin und her und sucht nach der richtigen Richtung. Das ist ungewöhnlich für eine 2. Geburt, und ich schlage A. einige Positionswechsel vor, um dem Baby ins Becken zu helfen. Sie macht alle Übungen fleißig mit und wir schreiben zwischendurch ein CTG, das tadellose Herztöne zeigt. Dann möchte A. wieder wissen, ob sich etwas getan hat. Der Muttermund ist nach wie vor 6cm offen, etwas dünnsaumiger als zuvor, und das Köpfchen im Beckeneingang. Leider kann man nicht mehr tasten, wie es genau liegt, weil sich eine kleine Geburtsgeschwulst gebildet hat, da der Blasensprung nun schon länger her ist (eine unbedenkliche Schwellung am Köpfchen, die durch den Druck entsteht). Ich vermute, dass es sich mit dem Rücken nach hinten gedreht hat (umgangssprachlich „Sternengucker“) und mache einen kurzen Ultraschall. Tatsächlich liegt der Rücken links hinten und das Gesicht schaut schräg nach rechts vorne. Das ist eine ungünstige, aber normalerweise gerade bei einer Zweitgebärenden keine geburtsunmögliche Position - es kann jedoch länger dauern, bis das Baby geboren wird und manchmal kann eine PDA dabei hilfreich sein. Wir besprechen die Situation und A. sagt klar, dass sie noch Reserven hat und im Geburtshaus weitermachen möchte, sie will noch nicht ins Krankenhaus. Da die Herztöne des Babys gut sind, ist das okay. Wir versuchen nun das Baby wieder aus dem Beckeneingang zu bekommen, damit es sich nochmal drehen kann. Die Wehen sind stark, aber A. macht super bei den Turnübungen mit.
Um 6:30 verlässt sie der Mut - das Baby drückt in jeder Wehe in seiner Sternenguckerlage ins Becken, kommt aber weder vor noch zurück. Jede Wehe ist eine riesige Herausforderung. Gleichzeitig gibt es einen kurzen Herztonabfall beim Baby, der aber nicht dramatisch ist. Um die Situation in Ruhe besprechen zu können, spritze ich A. ein wehenhemmendes Medikament. Sie möchte jetzt definitiv ins Krankenhaus, um eine PDA in Anspruch zu nehmen. So machen wir es. Lena informiert die Rettung, ich kündige uns im Krankenhaus an. Ein paar Minuten später sind wir schon unterwegs. Den kurzen Weg legt A. sitzend im Rettungswagen zurück, ich begleite sie. Lena kommt mit dem werdenden Papa zu Fuß nach. Um 6:45 warten wir schon vor der Tür und die diensthabende Hebamme nimmt uns in Empfang. A. wird erst mal in der Schwangerenambulanz ans CTG gehängt, während das Aufnahmeprocedere erledigt wird und ich den ÄrztInnen und der Hebamme im Detail erzähle, wie die Geburt bisher verlaufen ist und warum wir da sind. Nach dem Wehenhemmer nehmen die Wehen nun wieder Fahrt auf. Bald wird A. in den Kreißsaal verlegt und an die dortige Hebamme übergeben. Ich muss mich nun langsam verabschieden und wünsche A. ganz fest, dass die Geburt auf normalem Weg klappt. Sie hat die ganze Zeit so toll durchgehalten. Ich bitte die Eltern noch, mir Bescheid zu geben, wenn das Baby da ist, und mache mich wieder auf den Weg ins Geburtshaus.
Nachdem A. etwas später die PDA bekommen hat, wird noch einiges versucht, um das Baby auf die Welt zu bringen. Es bleibt jedoch in seiner ungünstigen Position und kommt so nicht durchs Becken, der Muttermund geht nicht weiter als 7cm auf.
Im Lauf der Zeit wird es auch für das Baby anstrengend und so wird am Nachmittag entschieden, dass es per Kaiserschnitt zur Welt kommen muss. Um 15:29 wird ein kräftiges Baby mit knapp 4kg geboren und A. hat es nach langer Wehenarbeit geschafft. Es ist selten, dass die 2. Geburtsreise einer Frau, die schon ein Baby vaginal geboren hat, so mühselig und langwierig verläuft und dann mit einem Kaiserschnitt endet. Aber dieses Kind hatte fast 1,5kg mehr als das erste und hätte in einer optimalen Lage wohl schon durchs Becken gepasst, nicht aber in seiner Sternenguckerposition. Das ist frustrierend und schwer zu akzeptieren.
Es wird sicher noch Zeit erfordern, das Geburtserlebnis zu verarbeiten, doch A. schafft es recht schnell in den nächsten Tagen, die Geburtsgeschichte erst mal abzuhaken und sich an ihrem Baby zu erfreuen. Liebe A., du hast so tapfer gekämpft und kannst richtig stolz auf dich sein! Herzlichen Glückwunsch!
Dem netten Rettungsteam und dem Personal im Krankenhaus, das A. übernommen und weiter betreut hat, sprechen wir unseren Dank aus. 💐