30/07/2025
𝐖𝐚𝐡𝐥𝐩𝐟𝐥𝐞𝐠𝐞: 𝐐𝐮𝐚𝐥𝐢𝐟𝐢𝐳𝐢𝐞𝐫𝐭, 𝐠𝐞𝐛𝐫𝐚𝐮𝐜𝐡𝐭 – 𝐚𝐛𝐞𝐫 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐧𝐞𝐫𝐤𝐚𝐧𝐧𝐭
Freiberufliche Diplom-Pfleger:innen sind die Vertreter der 𝐖𝐚𝐡𝐥𝐩𝐟𝐥𝐞𝐠𝐞 in Österreich. Sie dürfen medizinisch arbeiten, dokumentieren gesetzeskonform, übernehmen Verantwortung – doch sie bleiben von der Sozialversicherung ausgeschlossen.
Seit der ASVG-Novelle 2005 (§ 135 ASVG) gelten Physio- und Ergotherapie als „ärztliche Hilfe“ – und sind damit im Wahlbereich erstattungsfähig. Freiberufliche Diplom-Pflegekräfte als Vertreter der Wahlpflege hingegen 𝐬𝐢𝐧𝐝 𝐯𝐨𝐧 𝐝𝐢𝐞𝐬𝐞𝐫 𝐑𝐞𝐠𝐞𝐥𝐮𝐧𝐠 𝐚𝐮𝐬𝐠𝐞𝐬𝐜𝐡𝐥𝐨𝐬𝐬𝐞𝐧, obwohl sie ebenfalls auf ärztliche Anordnung tätig sind – und oft dieselben Patient:innen betreuen.
„Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht zu rechtfertigen und verstößt unserer Ansicht gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art 7 der Verfassung der Republik Österreich. Sie dürfte außerdem dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (§ 1 UWG) widersprechen, da Pflegekräften durch gesetzliche Marktverzerrung systematisch der Zugang zu Patient:innen erschwert wird“, schätzt Thomas Maximilian Lener, Geschäftsführer von pflege network, die rechtliche Lage ein.
*** 𝐆𝐥𝐞𝐢𝐜𝐡𝐡𝐞𝐢𝐭𝐬𝐠𝐫𝐮𝐧𝐝𝐬𝐚𝐭𝐳: 𝐀𝐫𝐭 𝟕 𝐁-𝐕𝐆
Der Gleichheitsgrundsatz in Art 7 Abs 1 Bundes-Verfassungsgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, gleichartige Sachverhalte gleich zu behandeln, sofern keine sachlich gerechtfertigten Unterschiede vorliegen.
Physio-, Ergo- und Logopädieberufe sowie diplomierte Pflegeberufe sind gesetzlich geregelte Gesundheitsberufe mit:
- dem selben Ausbildungsniveau (180 ECTS),
- ärztlich verordneten Leistungen,
- medizinischer Indikation,
- eigenverantwortlicher Ausübung im Gesundheitswesen.
Dass erstere als „ärztliche Hilfe“ im Sinne des § 135 ASVG gelten und dadurch eine Kostenerstattung durch Sozialversicherung erhalten, – Pflegeleistungen aber ausgeschlossen bleiben, stellt eine 𝐮𝐧𝐬𝐚𝐜𝐡𝐥𝐢𝐜𝐡𝐞 𝐃𝐢𝐟𝐟𝐞𝐫𝐞𝐧𝐳𝐢𝐞𝐫𝐮𝐧𝐠 dar.
"Der VfGH hat wiederholt klargestellt, dass Differenzierungen nach Berufsgruppen dann verfassungswidrig sind, wenn sie nicht durch objektive Kriterien sachlich begründbar sind (z.B. VfSlg 16.245/2001)", schließt Lener seine Argumentation.
*** 𝐌𝐚𝐫𝐤𝐭𝐯𝐞𝐫𝐳𝐞𝐫𝐫𝐮𝐧𝐠 𝐝𝐮𝐫𝐜𝐡 𝐠𝐞𝐬𝐞𝐭𝐳𝐥𝐢𝐜𝐡𝐞 𝐄𝐱𝐤𝐥𝐮𝐬𝐢𝐯𝐫𝐞𝐜𝐡𝐭𝐞: § 𝟏 𝐔𝐖𝐆
„Wenn zwei Berufsgruppen gleiche Verantwortung und gleiche Voraussetzungen erfüllen – aber nur eine davon rückvergütet wird – dann ist das für uns institutionalisierte Diskriminierung.", so Lener weiter.
Die gesetzliche Kostenerstattung ausschließlich für bestimmte Gesundheitsberufe (Wahlphysio/Wahlergo), während anderen (Wahlpflege) der Zugang zum gleichen Markt strukturell verwehrt wird, führt zu einer verzerrten Wettbewerbslage:
𝐏𝐚𝐭𝐢𝐞𝐧𝐭:𝐢𝐧𝐧𝐞𝐧 𝐬𝐭𝐞𝐮𝐞𝐫𝐧 𝐚𝐮𝐭𝐨𝐦𝐚𝐭𝐢𝐬𝐜𝐡 𝐣𝐞𝐧𝐞 𝐁𝐞𝐫𝐮𝐟𝐬𝐠𝐫𝐮𝐩𝐩𝐞𝐧 𝐚𝐧, 𝐝𝐞𝐫𝐞𝐧 𝐋𝐞𝐢𝐬𝐭𝐮𝐧𝐠 𝐫ü𝐜𝐤𝐞𝐫𝐬𝐭𝐚𝐭𝐭𝐛𝐚𝐫 𝐢𝐬𝐭.
Das benachteiligt systematisch die Wahlpflege, obwohl sie gleichwertige medizinische Leistungen erbringt.
Der OGH hat festgestellt, dass auch gesetzlich begünstigte Strukturen wettbewerbswidrig sein können, wenn sie marktrelevante Behinderungen für andere Anbieter:innen schaffen (z.B. 4 Ob 236/10p)
Lener geht davon aus, dass eine wettbewerbsverzerrende Situation herrscht: "Dies kann als staatlich veranlasste Marktabschottung und mittelbare Wettbewerbsbehinderung im Sinne des § 1 UWG gewertet werden."
*** 𝐁𝐞𝐫𝐮𝐟𝐬𝐟𝐫𝐞𝐢𝐡𝐞𝐢𝐭 𝐮𝐧𝐝 𝐄𝐔-𝐃𝐢𝐞𝐧𝐬𝐭𝐥𝐞𝐢𝐬𝐭𝐮𝐧𝐠𝐬𝐫𝐞𝐜𝐡𝐭: 𝐀𝐫𝐭 𝟔 𝐒𝐭𝐆𝐆; 𝐀𝐫𝐭 𝟏𝟖 𝐀𝐄𝐔𝐕
Die fehlende Erstattungsfähigkeit behindert die wirtschaftliche Ausübung der freiberuflichen Pflege als Wahlpflege.
Dies stellt einen Eingriff in die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Berufsausübung nach Art 6 Staatsgrundgesetz dar, welches ein wichtiger Bestandteil des österreichischen Verfassungsrechts ist und gemeinsam mit anderen Gesetzen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention die Grund- und Menschenrechte in Österreich sichert.
Auch aus Sicht des EU-Dienstleistungsrechts (Art 18 AEUV) ist eine nationale Regelung, die einen Gesundheitsberuf faktisch ausschließt, unverhältnismäßig.
*** 𝐍𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐧𝐮𝐫 𝐝𝐢𝐞 𝐖𝐚𝐡𝐥𝐩𝐟𝐥𝐞𝐠𝐞 𝐯𝐞𝐫𝐥𝐢𝐞𝐫𝐭 - 𝐬𝐨𝐧𝐝𝐞𝐫𝐧 𝐚𝐮𝐜𝐡 𝐝𝐞𝐫𝐞𝐧 𝐏𝐚𝐭𝐢𝐞𝐧𝐭:𝐢𝐧𝐧𝐞𝐧
Die strukturelle Benachteiligung trifft nicht nur Pflegekräfte, sondern auch 𝐳𝐞𝐡𝐧𝐭𝐚𝐮𝐬𝐞𝐧𝐝𝐞 𝐏𝐚𝐭𝐢𝐞𝐧𝐭:𝐢𝐧𝐧𝐞𝐧, 𝐝𝐢𝐞 𝐚𝐮𝐟 𝐡𝐚𝐮𝐬𝐛𝐞𝐬𝐮𝐜𝐡𝐞𝐧𝐝𝐞 𝐖𝐚𝐡𝐥𝐩𝐟𝐥𝐞𝐠𝐞 𝐚𝐮𝐟 𝐆𝐫𝐮𝐧𝐝 𝐟𝐞𝐡𝐥𝐞𝐧𝐝𝐞𝐫 𝐊𝐚𝐩𝐚𝐳𝐢𝐭ä𝐭𝐞𝐧 𝐝𝐞𝐫 ö𝐟𝐟𝐞𝐧𝐭𝐥𝐢𝐜𝐡𝐞𝐧 𝐀𝐧𝐛𝐢𝐞𝐭𝐞𝐫 𝐚𝐧𝐠𝐞𝐰𝐢𝐞𝐬𝐞𝐧 𝐬𝐢𝐧𝐝, aber die Leistungen aus eigener Tasche bezahlen müssen.
Lener betont, dass "alle, die wegen öffentlicher Engpässe auf die Wahlpflege angewiesen sind, im Besonderen ältere Menschen, chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung betroffen sind. Also jene Gruppen, die laut Gesetzgeber eigentlich besonders geschützt werden sollten."
Die 𝐬𝐨𝐳𝐢𝐚𝐥𝐯𝐞𝐫𝐬𝐢𝐜𝐡𝐞𝐫𝐮𝐧𝐠𝐬𝐫𝐞𝐜𝐡𝐭𝐥𝐢𝐜𝐡 𝐠𝐞𝐬𝐭𝐞𝐮𝐞𝐫𝐭𝐞 𝐋𝐞𝐧𝐤𝐮𝐧𝐠 verhindert, dass Patient:innen freie Gesundheitsdienstleister:innen zu leistbaren Konditionen wählen können.
Das widerspricht dem Prinzip der 𝐏𝐚𝐭𝐢𝐞𝐧𝐭:𝐢𝐧𝐧𝐞𝐧𝐚𝐮𝐭𝐨𝐧𝐨𝐦𝐢𝐞 und den Vorgaben der Europäischen 𝐏𝐚𝐭𝐢𝐞𝐧𝐭𝐞𝐧𝐫𝐞𝐜𝐡𝐭𝐞𝐜𝐡𝐚𝐫𝐭𝐚.
*** 𝐅𝐚𝐳𝐢𝐭
Die derzeitige Ausgestaltung von § 135 ASVG, der im Wahlbereich Physio- und Ergotherapie erstattungsfähig macht, nicht aber die Pflegeleistungen, ist nach Ansicht von pflege network
- 𝐯𝐞𝐫𝐟𝐚𝐬𝐬𝐮𝐧𝐠𝐬𝐰𝐢𝐝𝐫𝐢𝐠 (Art 7 B-VG – Gleichheitssatz),
- 𝐰𝐞𝐭𝐭𝐛𝐞𝐰𝐞𝐫𝐛𝐬𝐰𝐢𝐝𝐫𝐢𝐠 (§ 1 UWG – Marktverzerrung zulasten freier Pflege),
- 𝐛𝐞𝐫𝐮𝐟𝐬𝐟𝐫𝐞𝐢𝐡𝐞𝐢𝐭𝐬𝐰𝐢𝐝𝐫𝐢𝐠 (Art 6 StGG, Art 18 AEUV),
- und 𝐩𝐚𝐭𝐢𝐞𝐧𝐭𝐞𝐧𝐫𝐞𝐜𝐡𝐭𝐬𝐰𝐢𝐝𝐫𝐢𝐠 (eingeschränkte Wahlfreiheit, trotz medizinischer Indikation).
„Wir fordern nicht mehr als die verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung freiberuflicher Wahlpflege mit anderen medizinischen Gesundheitsberufen. Es darf im Jahr 2025 nicht sein, dass Pflegekräfte medizinische Leistungen erbringen, aber ihre Patient:innen nicht unter den Schutz der Sozialversicherung fallen,“ so Lener.
Weitere Informationen: support@pflegenetwork.at - Tel. +43 (0)59 310 - https://pflegenetwork.at
Thomas Maximilian Lener, Geschäftsführer pflege network, Systempartner der freiberuflichen Pflege in Österreich