02/07/2025
Probleme wie Korruption. Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung sind entscheidend für Wohlstand und Frieden in Afrika.
China ignoriert das. Es hat trotzdem in Afrika investiert. Jetzt hat China viele afrikanische Länder unter Kontrolle, die sich bei den Chinesen verschuldet haben.
Professor Belachew Gebrewold über Entwicklungshilfe, Kolonialismus, „Opfermentalität“ und die Angst der Europäer vor Migranten aus Afrika.
VON WIELAND SCHNEIDER aus „Die Presse“
Die Presse: Weltweit wird bei Entwicklungszusammenarbeit gespart. Vor allem die USA unter Donald Trump haben ihre Hilfe massiv gekürzt. Was bedeutet das für die Menschen in den betroffenen Ländern?
Belachew Gebrewold: Ich sehe diese Kürzungen sehr dramatisch, weil sich in den vergangenen Jahrzehnten die soziale Lage vieler Menschen in armen Ländern durch Entwicklungshilfe deutlich gebessert hat. Die Unterstützung für viele soziale Projekte fällt nun weg: etwa dass Mädchen in die Schule gehen können. Oder dass Frauen aus ärmeren Schichten ihre Kinder nicht zu Hause auf die Welt bringen, sondern in Krankenhäusern. Es gibt in diesen Ländern kein Versicherungssystem, wie wir das aus Österreich kennen. Die Menschen brauchen Geld, um zum Arzt gehen zu können.
Das Gegenargument ist: Es muss doch Aufgabe der jeweiligen Regierungen sein, sich etwa um Bildung oder Gesundheitsversorgung zu kümmern. Das können sie ja nicht einfach an andere Staaten oder NGOs delegieren.
Das stimmt, das sehe ich auch so. Die Hauptaufgabe von Regierungen ist, für ihr Volk zu arbeiten. Sie müssen die Probleme lösen: im sozialen Bereich, bei Bildung oder Gesundheit. Ein Argument für die Kürzung von Entwicklungshilfe war auch immer: Dann kommen die zuständigen Regierungen unter Druck und erfüllen endlich ihre Verpflichtungen. Nur: Das war dann aber leider nie der Fall. Es hat dann nie eine Verbesserung für die Menschen gegeben.
Was ist dann die Lösung?
Entwicklungszusammenarbeit ist kein Problem, wie es manche Analysten – auch aus Afrika – darstellen; sie ist aber auch nicht die Lösung für alles. Entwicklungshilfegelder leisten einen wichtigen Beitrag für viele Menschen. Die Hilfe zu kürzen, ist deshalb nicht gut. Zugleich kann diese Hilfe aber kein Ersatz dafür sein, dass etwa Regierungen in Afrika ordentliche Strukturen in ihren Ländern aufbauen. Denn so viel Geld kommt auch gar nicht über die Entwicklungshilfe. Alle Staaten von Subsahara-Afrika haben insgesamt von den OECD-Ländern vergangenes Jahr etwa 36 Milliarden US-Dollar erhalten, ganz Afrika 42 Milliarden US-Dollar. Zugleich verlässt durch Kapitalflucht doppelt so viel Geld Afrika. Die Europäer können Afrikas Probleme weder mit Geld noch mit Experten lösen. Das können nur die Afrikaner selber tun.
Es gibt auch die Kritik, dass mit Entwicklungszusammenarbeit neue Abhängigkeiten geschaffen werden. Etwa weil Geberländer die Hilfe mit politischem Wohlverhalten der Empfängerländer verknüpfen.
Neue Abhängigkeiten sind entstanden, weil afrikanische Regierungen ihre Verantwortung nicht wahrgenommen haben. Es gibt auch Regierungen, die sagen: Die Europäer sollen Geld geben. Sie dürfen aber nicht sagen, was damit geschehen soll. Damit tue ich mir schwer. Die Europäer haben sehr wohl das Recht, dabei mitzureden, wie das Geld, das sie zur Verfügung stellen, verwendet wird. Dann einfach von afrikanischer Seite zu klagen, dass das Neokolonialismus sei, greift zu kurz. Ja, die europäische Geschichte in Afrika war eine barbarische Geschichte von Ausbeutung und Sklaverei. Aber das erklärt nicht alle heutigen Probleme. Man kann den Westen dafür nicht einfach zum Sündenbock machen.
Der Kolonialismus hat aber zweifellos großen, nachhaltigen Schaden angerichtet.
Natürlich hat die brutale Kolonialisierung in Afrika Infrastruktur und Ökologie zerstört. Sie hat aber auch zu einer Opfermentalität geführt, zu einem Minderwertigkeitsgefühl, dass die Probleme von den Afrikanern nicht selber gelöst werden könnten, sondern dass es dafür Amerikaner oder Europäer braucht. Aber das stimmt nicht.
Nach dem Zurückfahren der US-Hilfe versucht nun China, in Afrika einzuspringen. Wird das für die USA und die Europäer ein strategisches Problem?
Jetzt entdecken die Europäer, dass sie jahrzehntelang zugeschaut und die Rolle Chinas in Afrika unterschätzt haben. China hat diese Schwäche der Europäer ausgenutzt. Nun wird in Österreich und der EU wieder über das Mercosur-Abkommen diskutiert – also über ein Freihandelsabkommen mit Lateinamerika. Es tut mir weh, zu sehen: Die Europäer blicken so weit hinüber über den Atlantik, obwohl Afrika vor ihrer Haustüre liegt. Weil sie Afrika für nicht so interessant halten wie Lateinamerika. Die Afrikaner müssen sich interessant machen, mit politischer Stabilität und dem besseren Aufbau von Institutionen. Und für Europa heißt es: Ja, es ist spät, aber es ist nicht zu spät für eine Zusammenarbeit bei Wissenschaft, Wirtschaft, Investitionen und Handel.
Warum ist für Europäer das weit entfernte Lateinamerika interessanter als der Nachbarkontinent Afrika?
Ein Problem ist: Der afrikanische Anteil an der globalen Wirtschaft ist viel zu klein. Er liegt bei rund drei Prozent. Warum ist das so? Die Folgen der Kolonialzeit, die Ausbeutung von Afrikas Naturressourcen durch die Europäer – das ist das eine. Das andere ist aber die schwache Infrastruktur, der schlechte Ausbau von Eisenbahn- oder Autobahnverbindungen. Auch Konflikte in Ländern wie Sudan oder Kongo machen Investitionen schwierig. Dazu kommen Probleme wie Korruption. Demokratie, Menschenrechte und gute Regierungsführung sind entscheidend für Wohlstand und Frieden in Afrika. China ignoriert das. Es hat trotzdem in Afrika investiert. Jetzt hat China viele afrikanische Länder unter Kontrolle, die sich bei den Chinesen verschuldet haben.
Ein Hauptfaktor für die Europäer in der Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten ist das Thema Migration. Bei vielen Projekten oder Kooperationen scheint es europäischen Ländern vor allem darum zu gehen, Migration nach Europa zu verhindern.
Ja, und deshalb betrachtet man in Afrika die Zusammenarbeit mit den Europäern auch immer wieder mit Skepsis. Dieses Problem hat China nicht. Für China spielt Migration bei der Kooperation keine Rolle. Die Bereitschaft, Migranten aufzunehmen, geht in Europa immer mehr zurück. Und die Regierungschefs haben Angst, Wahlen zu verlieren. Was mich aber verblüfft: Nachdem 2015 so viele Migranten aus Syrien und Afghanistan gekommen waren, hieß es rasch, dass keine Migranten aus Afrika kommen sollen, dass man die Mittelmeerroute abschotten müsse. Aber warum beschäftigen sich Politik und Medien so sehr mit Migration aus Afrika, wenn doch – was alle Zahlen zeigen – die Hauptmigration aus Syrien oder Afghanistan kommt?
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Es liegt offenbar auch an einer unterbewussten Angst vor Afrikanern. Wegen der Vorstellung in Europa, dass sie zu wenig gebildet seien. Oder weil sie anders aussehen. Oder auch, weil sie eine andere Religion haben könnten – obwohl in Subsahara-Afrika die meisten Menschen Christen sind. Es gibt in Europa zum Teil auch zu wenig Wissen über Afrika. Über diese Vorstellungen redet man oft nicht öffentlich, weil das als rassistisch interpretiert werden könnte. Aber das spielt sehr wohl eine Rolle.
Zur Person
Belachew Gebrewold, geboren in Äthiopien, ist Professor für Internationale Politik, Migrationsforscher und Studiengangsleiter an der internationalen Hochschule MCI in Innsbruck. Zuletzt veröffentlichte er das Buch „Postcolonial African Migration to the West