09/11/2025
Vom Paradigmenwechsel zur Praxis – Die Regulative Schmerztherapie als realisierte Neuro-Regulation
Der Artikel „Deutschlands Schmerzwissen – Quo Vadis?“ von Ahura Bassimtabar (pt Zeitschrift für Physiotherapeuten, 2025) beschreibt den dringenden Bedarf eines Paradigmenwechsels im Schmerzverständnis. Er zeigt auf, dass in der physiotherapeutischen Ausbildung vielerorts noch ein überholtes, biomechanisch-strukturelles Schmerzmodell (PSB-Modell) gelehrt wird, während die moderne Neurobiologie längst belegt, dass Schmerz ein komplexes, limbisch reguliertes Netzwerkphänomen ist.
Nach Bassimtabar ist Schmerz nicht die Folge eines isolierten Gewebereizes, sondern das Ergebnis zentralnervöser Verarbeitung, Bewertung und emotionaler Gewichtung. Das Gehirn – insbesondere das limbische System mit Amygdala, Hippocampus und präfrontalem Cortex – ist der eigentliche Ort der Schmerzentstehung. Er fordert daher eine stärkere Integration dieser Erkenntnisse in Lehre und Praxis: ein Umdenken „vom Körper zum System“.
Das in der Theorie geforderte – in der Praxis realisiert
Genau diesen geforderten Paradigmenwechsel hat die Regulative Schmerztherapie nach Laube & Daase (Springer, 2023) bereits vollzogen und klinisch umgesetzt. Das Konzept verknüpft neurobiologische, bioregulative und psychoregulative Prozesse zu einem praktischen Gesamtsystem, das die von Bassimtabar theoretisch beschriebenen Mechanismen bereits therapeutisch anwendet.
1. Neuroregulative Ebene
Während Bassimtabar betont, dass Schmerz eine neurozentrierte Bewertung darstellt, arbeitet die Regulative Schmerztherapie gezielt mit diesen neuronalen Bewertungsmechanismen. Durch Periostpressur-Techniken nach Vogler/Daase werden spezifische Knochen- und Rezeptorzonen stimuliert, deren afferente Bahnen limbische und hypothalamische Strukturen erreichen. Dies führt zu einer Neukalibrierung überaktiver Schmerznetzwerke – praktisch das, was in der Theorie als zentralnervöse Modulation gefordert wird.
2. Bioregulative Ebene
Bassimtabar beschreibt die Notwendigkeit, Schmerz als Systemphänomen zu begreifen. Das bioregulative Teilmodell erfüllt genau dies, indem es vegetative, mikrozirkulative und entzündungsmodulierende Prozesse in die Behandlung integriert. Somit wird Schmerz nicht als Defekt, sondern als dynamische Regulationsantwort behandelt – eine zentrale Forderung der modernen Neurophysiologie.
3. Psychoregulative Ebene
Während der Artikel die Bedeutung emotionaler und kognitiver Einflüsse auf Schmerz hervorhebt, operationalisiert die Regulative Schmerztherapie diesen Zusammenhang konkret. Über achtsame Berührung, Atemrhythmus-Integration und kognitive Reframing-Techniken wird das limbische System emotional entlastet und der präfrontale Cortex aktiviert – also genau die Hemmungsmechanismen, die in der Neurowissenschaft als schmerzmodulierend gelten.
Limbisches System und Prävention – das Bindeglied
Beide Ansätze treffen sich im Verständnis, dass das limbische System der zentrale Schaltpunkt der Schmerzverarbeitung ist. Während Bassimtabar diesen Mechanismus beschreibt, nutzt die Regulative Schmerztherapie ihn als therapeutisches Werkzeug. Die Stimulation periostaler Rezeptoren erzeugt direkte Rückkopplungen auf Amygdala, Thalamus und Insula und führt zu einer Desensibilisierung chronifizierter Schmerzpfade.
Darüber hinaus integriert das System bereits eine präventive Dimension, die im Artikel nur am Rande gefordert wird: Regelmäßige Kapsel- und Fasziendehnungen, Atemlenkung und neurovegetatives Training verhindern die Ausbildung zentraler Schmerzschleifen. Somit verbindet die Regulative Schmerztherapie Neurobiologie, Prävention und Therapie zu einem kohärenten Gesamtmodell.
Fazit: Umsetzung des Paradigmenwechsels
Während Bassimtabar den theoretischen Wandel in der Schmerzlehre fordert, repräsentiert die Regulative Schmerztherapie nach Laube & Daase die praktische Realisierung dieses Wandels. Sie überführt die Erkenntnisse der modernen Schmerzforschung – Limbik, Plastizität, emotionale Bewertung, vegetative Regulation – in ein klar strukturiertes, klinisch anwendbares System.
Damit wird das in der Zeitschrift beschriebene „zukünftige Schmerzverständnis“ bereits heute in die Praxis umgesetzt – als Regulationsmedizin des Schmerzes, als Therapie des Nervensystems und als Trainingssystem für Selbstheilung und Prävention.
Literatur
Bassimtabar, A. (2025). Deutschlands Schmerzwissen – Quo Vadis? pt Zeitschrift für Physiotherapeuten, Oktober 2025.
Laube, W. & Daase, A. (2023). Regulative Schmerztherapie – Praxismanual für Ärzte, Physio-, Ergo- und Sporttherapeuten. Springer Nature Heidelberg.
Vogler, P. (1981). Periostbehandlung – Grundlagen und Techniken. Berlin.