03/02/2023
Bhupal, die Peoples Clinic und die nächste Generation
Vor 40 Jahren trafen wir Bhupal. Er arbeitete als Arzt in einem Kinderheim und hatte eine kleine eigene Praxis. Wir lernten eine aussergewöhnlichen Menschen kennen, ehrlich, bescheiden und unbeirrbar in seinen ethischen Werten. Wir beschlossen ihn in der Umsetzung seiner und unsrer Ideen zu unterstützen. Mitten auf dem Land, weitab vom Getümmel der Städte, errichteten wir die ‚Peoples Clinic‘, ein kleines ambulantes Spital. Medizinische Grundversorgung ist immer auf Unterstützung angewiesen. Durch Spenden und einem Teil der Einnahmen aus der Landwirtschaft konnte diese medizinische Hilfe 25 Jahre lang aufrechterhalten werden. Genauso wichtig wie die medizinische Versorgung war Bhupal von Anfang an die Verbesserung der Ernährung und der hygienischen Verhältnisse, so pflanzten wir zigtausende von Frucht- und Schattenbäumen im Bewusstsein, dass die Erde zurückgibt was sie bekommt. Die ganze Gegend erholte sich sichtlich.
Seine bäuerlichen Wurzeln machten es Bhupal einfach auf dem Land zu wohnen. Dann kamen die Kinder, ihre Ausbildung erforderte den Umzug in die Stadt. Ein zusätzliches Studium, der Abschluss zum promovierten Psychiater und die Eröffnung einer psychiatrischen Klinik in Tirupati gaben der Familie finanzielle Sicherheit und entsprachen dem Wunsch Bhupals, dort zu helfen, wo seiner Meinung nach die meisten Krankheiten ihren Ursprung haben, im Kopf. Viele Jahre liess er es sich nicht nehmen, mehrmals pro Woche den langen Weg zur ‚Peoples Clinic‘ mit dem Bus, auf dem Motorrad und mit dem Auto zurückzulegen, um dort im abgelegenen Arai die medizinische Grundversorgung weiterhin zu gewährleisten. Die schlechten Strassen verursachten Rückenprobleme, unter denen er heute noch zu leiden hat. Als die Versorgung durch die staatlichen Angebote etwas besser wurden, hat er diese Arbeit zum grossen Bedauern der Bewohner in den Dörfern aufgegeben.
Näher an Tirupati gelegen eröffnete Bhupal ein Rehabilitationszentrum für psychisch kranke Menschen, das einzige in einer Region von 2.5 Millionen Einwohnern. Die Infrastruktur ist für maximal 25 Personen ausgerichtet, entsprechend lange ist die Warteliste. Die Umgebung der Gebäude ist Balsam für die Seele, viel Natur und Ruhe. Die Patienten können sich in Gärtnerei und Baumschule betätigen. Manessa, Tochter und ebenfalls Ärztin, unterstützt Bhupal in der Klinik und im Rehabilitationszentrum. Mit ihm gemeinsam fährt sie an Kongresse, um auf die Dringlichkeit von psychiatrischen Einrichtungen aufmerksam zu machen. Bei unserem Besuch im Januar 2023 wurde ein Begegnungs- und Informationszentrum eingeweiht, in dem auch Nachkonsultationen der bereits entlassenen Patienten stattfinden sollen. in den folgenden Jahren ist der Ausbau für 150 Patienten geplant. Die Finanzierung erfordert ihnen einiges an Kreativität und Netzwerkarbeit ab. Wir in der Schweiz wollen diese Projekt nach Kräften unterstützen.
Anfangs der 90er Jahre machte das Schweizerische Rote Kreuz es möglich, dass die Stiftung ein grosses Stück Land kaufen konnte, ca. 11 ha. Es wurde ‚Krishivanam‘ (Ort der harten Arbeit) getauft und diente als Mustergarten und Basis für viele Aktivitäten, die man unter dem Begriff ‚social foresting‘ zusammenfassen kann. Die Baumschule lieferte Jungbäume für die Familien in den Dörfern, in den nahegelegenen Hügeln wurden Wildbäume gepflanzt und Strassen in Alleen verwandelt. Unterdessen mauserte sich Indien vom Entwicklungs- zum Schwellenland, und es wurde immer schwieriger, Gelder für solche Projekte aufzutreiben. Die Regierungsprogramme legten den Fokus auf die Städte, die Industrie und Technologisierung des Landes. Durch den Verkauf von Jungbäumen und Mangos und hin und wieder Unterstützung aus der Schweiz konnten einige Arbeitsplätze erhalten werden und Krishivanam ist heute in einem relativ guten Zustand.
Sohn Raju hat als Fotograf die Welt bereist und Erfahrungen in Marketing und Landwirtschaft gesammelt. Nun wird er in Krishivanam einen biologischen Landwirtschaftsbetrieb aufbauen. Während der Coronazeit, als keine Arbeitskräfte zu bekommen waren, hat er sich selber um die Mangoernte gekümmert und sie in der Stadt direkt verkauft, ein Crash-Kurs im Direct Marketing, wie er heute sagt. Die Vernachlässigung der bäuerlichen Bevölkerung durch die Regierung rächt sich, Landflucht und grosse ökologische Probleme sind die Folge. Peoples Clinic hat sich seit der Gründung vor 40 Jahren der Entwicklung des ländlichen Indiens verschrieben. Die Pläne von Bhupal, Manessa und Raju sind diesem Grundsatz treu geblieben, was nicht selbstverständlich ist, denn der Sog der Städte ist nach wie vor gross. Sie schaffen den Spagat zwischen ökonomischer Stabilität und Aktivitäten in einem der wirtschaftlich ärmsten Regionen Indiens und tragen gleichzeitig zum Erhalt einer ökologischen Oase bei.