16/12/2021
Überdosis: Drogenrausch in der Küche
Ob Muskatnuss, Salbei oder Safran – Drogen müssen nicht immer illegal sein. Welche Alltagsdrogen ihr auf dem Schirm haben solltet und wie ihr bei der Intoxikation eines Patienten vorgeht.
Hasch und He**in, Pillen und Pilze, Kokain und Kath – dass diese Substanzen eine Fahrkarte für eine Reise in die Welt des Rausches sein können, ist bekannt. Nicht jedem ist aber bewusst, dass auch legale Gewürze, Kräuter und Spirituosen zu einem Rausch führen können. Legal heißt nicht ungefährlich; auch Drogen aus Bar und Küche haben es in sich.
Ein dröges Vergnügen?
Das Wort „Droge“ stammt vom Mittelhochdeutschen „dröge“ ab, was so viel wie getrocknet bedeutet. Gemeint waren damit getrocknete Heilpflanzen. Und eben diese können in der Tat als berauschende Droge verwendet werden. Die Verfügbarkeit von Drogen in Europa wird durch die derzeitige Pandemie nicht ernsthaft beeinträchtigt. Vielmehr beobachten wir weiterhin Risiken für die öffentliche Gesundheit, die sich aus der Verfügbarkeit und Verwendung eines breiten Spektrums von Substanzen ergeben, die häufig von hohem Wirkstoffgehalt oder Reinheit sind, so der aktuelle europäische Drogenbericht.
Online-Quellen und Zustelldienste haben unbewusst die Rolle des Dealers übernommen, die Pandemie hat den Drogenmarkt noch stärker digitalisiert. Meist jugendliche Konsumenten probieren viele Substanzen, die sich im Haushalt finden. Neugier wecken auch Berichte über Rauschzustände durch Kräuter und Gewürze, wie sie teilweise in den sozialen Medien zu finden sind.
Muskat: Psychoaktive Nuss aus dem Gewürzregal
Anfang des 19. Jahrhunderts wurde aus Muskatnuss der Inhaltsstoff M**A, besser bekannt als Ecstasy, isoliert. Die Muskatnuss enthält weitere Halluzinogene wie Myristicin, Safrol und Elemicin. Der Hauptbestandteil ist Myristicin. Er hat Aktivität an serotonergen Rezeptoren und kann nach Exposition zu psychomimetischen Symptomen führen.
Myristicin ist ein Monoaminooxidase-Hemmer, der auch in Antidepressiva vorkommt. Durch einen Überschuss des Neurotransmitters Serotonin kann die Aufmerksamkeit nachlassen. Es kann zudem zu Vergesslichkeit und Verhaltensveränderungen wie Ruhelosigkeit und Muskelzuckungen kommen.
Bei Muskat-Missbrauch oft keine Intervention nötig
Insgesamt führt der Missbrauch häufig zu leichten bis mittelschweren Symptomen, die keine medizinische Intervention erfordern, obwohl schwerere Vergiftungen einen Krankenhausaufenthalt zur Folge haben können.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden Muskatnüsse als Haschisch-Ersatz gegessen. Als Erster erkannte der Physiologe Purkinje die halluzinogene Wirkung der Muskatnuss. Er berichtete über einen Selbstversuch:
„Über die narkotische Wirkung der Muskatnuß. […] Ich nahm erst eines Morgens eine ganze Nuss, stückweise mit Zucker, was eben nicht unangenehm war. Die Wirkung […] war unbedeutend; etwas Trägheit in den äußeren Sinnen und im Bewegungssystem, ziemlich nachhaltend.“
Er erhöhte die Dosis auf drei Muskatnüsse und verspürte eine unwiderstehliche Schläfrigkeit und angenehme, ruhige Träume. Bei einer Dosis von 7–12 Gramm sind Delirien beschrieben worden, außerdem wirken hohe Dosen abortiv. Toxische Wirkungen sind Halluzinationen, Euphorie, Bewusstlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Tachykardie und Mydriasis.
Nutmeg-Challenge: „Bevor du berauscht bist, musst du kotzen“
Der Grund, warum das Gewürz nicht noch stärker als Rauschdroge verbreitet ist, ist die magenreizende Wirkung. „Bevor du berauscht bist, musst du kotzen“, so ein treffendes Zitat aus einem Anwenderbericht.
Vor etwa einem Jahr macht die auf der Unterhaltungsplattform TikTok die Runde, bei der sich User ein Getränk aus Wasser und Muskatnuss-Pulver zusammenmischen. Damit könne man ein halluzinogenes High erzeugen, ähnlich wie bei L*D oder psychedelischen Pilzen, berichten Anwender. Die Erfahrungen von TikTok-Nutzern, die die Muskatnuss-Challenge ausprobierten, reichten vom „Schmelzen“ von Wänden bis hin zu einem Marihuana-ähnlichen High. Zahlreiche Fallberichte über Vergiftungen mit Muskatnusssamen finden sich in der Literatur.