
01/10/2025
„Und wo ist das Manual?“
Ich leite seit vielen Jahren Seminare für Lehrkräfte. Immer wieder stoße ich dabei auf eine ähnliche Frage:
„Gibt es auch ein Manual?“
Ich verstehe, woher diese Frage kommt. Lehrkräfte arbeiten unter hohem Druck. Der Alltag ist voll, die Verantwortung groß, die Zeit knapp. Ein Manual wirkt da wie ein Rettungsanker: etwas zum Festhalten, Abhaken, Absichern. Ich erlebe dieses Bedürfnis nach Orientierung und klaren Wegen sehr deutlich – und gleichzeitig merke ich, wie sehr es genau das ist, was uns in der Persönlichkeitsbildung im Weg steht.
Persönlichkeitsentwicklung ist keine mechanische Fertigkeit, die man wie das Einmaleins vermitteln kann. Sie ist kein Lernziel, das man in drei Schritten erreicht, und kein Raster, das sich abprüfen lässt. Sie ist ein individueller, oft widersprüchlicher Prozess. Sie entsteht durch Erfahrung, Reflexion – und vor allem durch Beziehung und das Aushalten von Unsicherheiten.
„Wir brauchen den Mut, nicht zu wissen, wie das geht.“
Dieser Satz begleitet mich in meiner Arbeit. Wer mit Menschen arbeitet, betritt ein Feld, das sich nicht vollständig kontrollieren lässt. Und genau das ist entscheidend: Entwicklung geschieht nicht nach Plan. Sie zeigt sich in Momenten, im Zuhören, im Nicht-Weggehen, wenn es schwierig wird. In der Bereitschaft, sich berühren zu lassen – und berührbar zu bleiben.
Ich verstehe den Wunsch nach Sicherheit. Manuale geben sie – scheinbar. Sie sagen: So geht es richtig. Sie bieten Strukturen und Ablaufpläne. Aber sie engen auch ein. Sie lassen wenig Raum für das, was zwischen den Zeilen passiert – für das, was wirklich bewegt.
In der Persönlichkeitsentwicklung braucht es keine Programme. Es braucht Prozesse.
Und es braucht Menschen, die sich als Begleiter verstehen. Räume, in denen nicht alles glattläuft. Wo Fehler erlaubt sind – auch von Lehrenden. Wo es nicht um „richtig“ oder „falsch“ geht, sondern um Echtheit, Beziehung und Entwicklung. Räume, in denen wir sagen dürfen: Ich weiß gerade auch nicht, wie es geht. Aber ich bin hier.
Das ist nicht bequem, aber ehrlich