
22/06/2025
Ein 82-jähriger Vater sitzt mit seinem 50-jährigen Sohn auf dem Sofa.
Der Sohn – erfolgreich, gebildet, ernst. Der Vater – still, etwas gebrechlich, aber wachsam.
Plötzlich landet eine Krähe auf dem Fenstersims.
„Was ist das?“, fragt der Vater leise.
„Eine Krähe, Papa“, antwortet der Sohn ruhig.
Ein paar Sekunden vergehen.
„Was ist das?“, fragt der Vater erneut.
„Ich hab’s dir gerade gesagt – das ist eine Krähe“, sagt der Sohn, schon leicht genervt.
Wieder ein Moment der Stille.
„Was ist das, mein Sohn?“, fragt der Vater zum dritten Mal.
Nun hebt der Sohn die Stimme:
„Eine Krähe, verdammt nochmal! Wie oft soll ich es noch sagen?!“
Der Vater sagt nichts. Er steht auf und geht langsam in sein Zimmer.
Nach einer Weile kommt er zurück – mit einem alten, abgegriffenen Notizbuch in der Hand.
Er blättert vorsichtig darin und reicht es seinem Sohn.
„Lies das bitte vor“, sagt er leise.
Der Sohn liest:
„Heute saß ich mit meinem dreijährigen Sohn auf dem Sofa. Eine Krähe landete am Fenster.
Mein Sohn fragte mich 23 Mal: Papa, was ist das?
Und jedes Mal antwortete ich mit einem Lächeln: Das ist eine Krähe, mein Schatz.
Ich habe ihn umarmt, ihm über den Kopf gestreichelt – ich war dankbar für seine Neugier.
Es war ein Moment voller Liebe und Wärme.“
Der Sohn schweigt.
Sein Blick wird leer.
Und in seinem Herzen breitet sich eine leise Scham aus.
Warum ist es so?
Als Kinder bekommen wir unendlich viel Geduld –
aber wenn unsere Eltern alt werden, verlieren wir genau diese Geduld mit ihnen.
Dabei wollen sie nichts Großes. Kein Geld, keine Geschenke.
Nur ein bisschen Zeit. Ein bisschen Nähe. Ein bisschen Herz.
Denn irgendwann sitzen auch wir auf diesem Sofa.
Und hoffen, dass jemand 23 Mal dieselbe Frage beantwortet –
nicht mit Genervtheit.
Sondern mit Liebe.