25/02/2020
Ganz große Klasse liebe Petra, vielen herzlichen Dank dafür. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen ❤
Stellungnahme des Vorstands der dgti:
Eine überfällige Entscheidung – das selbsterklärte Geschlecht
muss durch Artikel 3 Grundgesetz geschützt werden!
Die Bundestagsfraktionen der Linken, B90/Grüne und FDP haben im Bundestag am 7.11.2019 einen Entwurf (1) zur Ergänzung des Artikels 3 Grundgesetz (Art. 3 GG) um das Merkmal „sexuelle Identität“ vorgelegt, der an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz überwiesen wurde. Wir begrüßen selbstverständlich die Forderung, sexuelle Identität in den Art. 3 GG aufzunehmen. Ablehnen müssen wir jedoch den aktuellen Vorschlag der drei Fraktionen, da er auf einen ausdrücklichen Schutz der geschlechtlichen Identität, die wir als selbsterklärtes Geschlecht definieren, verzichtet.
In den uns zugänglichen Quellen wurden im Wesentlichen vier Argumente genannt, warum auf „geschlechtliche Identität“ in Art.3 GG verzichtet werden kann bzw. soll.
1. Politische Durchsetzbarkeit, vor allem bei der Fraktion der CDU/CSU
2. Ein solche Ergänzung würde die zu schützenden Personen schlechter stellen als bisher
3. „Geschlecht“ im Art. 3 GG würde geschlechtliche Identität bzw. selbstempfundenes Geschlecht bereits beinhalten.
4. Die Definition des Begriffs „Geschlecht“ könne durch Parlamentsbeschluss oder -resolution außerhalb des Grundgesetzes definiert werden.
Im Folgenden nehmen wir zu diesen vier Punkten Stellung:
Zu 1.
Dieses Argument betrachten wir als einen Mangel an Wertschätzung, Verständnis und Solidarität mit der Gemeinschaft der Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung d.h. an trans* (* bedeutet: transsexuell,transident, transgender), sowie intersexuellen und nichtbinären Personen.
Das können wir als bundesweite Interessenvertretung dieser Menschen nicht akzeptieren. Die Reihenfolge der Prioritäten ist offensichtlich, die daraus folgende Ungleichbehandlung, die sich immer und immer wieder wiederholt, ebenfalls.
Es ist elementar wichtig – auch für deren Glaubwürdigkeit – das Parteien und Verbände für ihre Prinzipien aktiv eintreten. Über Wählerschwund und Politikverdrossenheit der Bürger braucht man sich ansonsten nicht zu wundern und auch nicht über das Erstarken antidemokratischer Kräfte.
Ein Beispiel für einen solchermaßen verfehlten Umgang speziell mit den Interessen der trans* Personen unter den Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung ist die ausstehende Bearbeitung des Transsexuellengesetzes.
Immer noch gibt es in diesem Zusammenhang menschenverachtende Praktiken wie die Zwangsbegutachtung,die mindestens doppelte psychiatrische Genehmigung für jede einzelne geschlechtsangleichende Maßnahme im Gesundheitssystem, was praktisch 6-8 solcher Begutachtungen bedeutet, und es gibt kein Gesetz, das die
Benachteiligung durch staatliche Stellen verbietet. Das gilt insbesondere für die Bereiche Schule, Hochschule, Justiz und Verwaltung. Ohne den Gang zum Gericht sieht sich keine staatliche und nichtstaatliche Stelle verpflichtet, so einfache Dinge wie Formulare z. B. auf den dritten Personenstand anzupassen. Die Benachteiligung zieht sich durch alle Lebensbereiche.
Um derartige Missstände zu beheben braucht es eine offene Diskussion unter allen demokratischen Kräften ohne
sofort mit Unterstellungen zu arbeiten, die letztlich den Dialog blockieren.
Zu 2. und 3.
Eine Schlechterstellung ist nicht möglich, wenn man den Begriff „Geschlecht“ präzisiert und durch „selbsterklärtes“ ergänzt.
Das BVerfG5,7 hat in seinen Beschlüssen diese Selbstzuordnung im Rahmen der Persönlichkeitsrechte unabhängig von einem körperlichen Zustand anerkannt und keinen Unterschied zwischen Geschlecht und geschlechtlicher Identität festgestellt. Diese Auslegung des Beschlusses wird von der Bundesregierung und insbesondere dem
BMI nicht geteilt, was an der nicht verfassungskonformen Auslegung des § 45b PStG zu erkennen ist.
Folge davon ist eine Ungleichbehandlung verschiedener Personengruppen, die sich auf ihre geschlechtliche Identität, ihr selbst empfundenes Geschlecht, berufen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum für eine Variante der geschlechtlichen Entwicklung (trans*) bezüglich des Personenstandes andere gesetzliche Regelungen greifen sollen wie für eine andere (intersexuelle Menschen).
Umso wichtiger ist es, verfassungsrechtlich abgesichert klarzustellen, was unter Geschlecht zu verstehen ist:
Dazu das BVerfG (5) :
(Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG): „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“
Daraus leitet sich zunächst ab, dass es im Recht mehr als zwei Geschlechter gibt.
Die Formulierung „sich zuordnen lassen“ steht im Kontrast zu einer späteren Aussage des BVerfG, der Gesetzgeber hätte das Recht, die Zuordnung nicht alleine von einem Menschen selbst vornehmen zu lassen, sondern die Gesetze so zu gestalten, dass diese für eine Änderung des Personenstands durch staatliche Stellen zu prüfen
seien. So wies das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde (6) gegen die Begutachtungspflicht im Transsexuellengesetz ab. Gleichzeitig verzichtet der Gesetzgeber nach Auslegung des BMI bei intersexuellen Menschen aber auf eine derartige Sonderbehandlung.
Da das BVerfG Körpermerkmale wiederholt (5,7) als nicht relevant für die rechtliche Einordnung in ein Geschlecht festgestellt hat, der Gesetzgeber diese Unterscheidung aber weiterhin mit Hilfe des Transsexuellengesetzes und dem §45b PStG trifft, ist es eine Tatsache, dass Benachteiligungspotential vorhanden ist und von höchster Stelle genutzt wird.
Persönlichkeitsrechte schützen nicht vor Benachteiligungen. Deshalb gibt es zusätzlich den Art. 3 GG.
An einem Teilbereich des Antidiskriminierungsrechts, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, kann man erkennen, wie aus politischem Opportunismus heraus mangelhaft definierte Begrifflichkeiten zu Lasten benachteiligter Gruppen wie der, die wir vertreten, ausgelegt werden.
Während der EuGH (2) bereits 1998 klargestellt hat, dass die Eigenschaft „transgender“ unter das persönliche Merkmal Geschlecht fällt, ist in der Gesetzesbegründung von 2006 (3) zum AGG der Hinweis zu finden, Trans* und Intersexualität wären unter „sexueller Identität“ geschützt, was einen geringeren gesetzlichen Schutz als „Geschlecht“ z. B. beim sachlichen Anwendungsgebiet „Massengeschäft“ bedeutet.
Von Seiten eines Verbandes wird die Auffassung verbreitet, die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hielte „Geschlecht“ im Art. 3 GG für inklusiv betreffend Menschen mit Varianten der geschlechtlichen Entwicklung.
Diese Annahme ist unzutreffend. In der Publikation der ADS „70 Jahre Grundgesetz – Eine Umfrage zur Erweiterung des verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbots in Art. 3 GG“ (8) kommt sie zum Schluss (S.12):
„Die Ergebnisse sprechen damit für eine Aufnahme der Merkmale sexuelle und geschlechtliche Identität sowie Lebensalter in Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz“
Wir weisen darauf hin, dass in einem ursprünglichen Entwurf des AGG von Fr. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch „geschlechtliche Identität“ durchaus enthalten war und den gleichen politischen Prioritäten wie nun im Antrag zum Art. 3 GG zum Opfer gefallen ist.
Auch dies hat zu konkreten Benachteiligungen geführt. Erst 2017 bescheinigte das Bundesarbeitsgericht (4) nach vierjährigem Marathon durch die Instanzen einer trans* Frau, dass ihre Klage wg. Benachteiligung gegen einen
künftigen Arbeitgeber auf Grund des Merkmals Geschlecht zulässig war.
In den unteren Instanzen wurden die Publikationen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vertretene Ansicht,Trans* sei unter dem Merkmal Geschlecht zu berücksichtigen, nicht berücksichtigt.
Dieser Beschluss des BAG beschränkt sich auf das sachliche Anwendungsgebiet Arbeit und ist nicht ohne weiteres auf andere Bereiche anwendbar.
Die Frage, schützt Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG durch das Merkmal Geschlecht ohne Zusatz auch Menschen, die sich auf ihre geschlechtliche Identität berufen vor Benachteiligung, muss daher mit „nein“ beantwortet werden.
Es ist nicht die fremdbestimmte Einordnung des Geschlechts bei der Geburt, sondern die Aussage des Menschen selbst, die über dessen Geschlecht entscheidet. Diese in einer nachträgliche Änderung des Personenstands wirk-
sam werden zu lassen, dazu lässt das BVerfG dem Gesetzgeber Freiraum, eben weil das Grundgesetz den Menschen bei der Selbstzuordnung im Geschlecht keine Stimme gibt.
Zu 4.
Für einen Parlamentsbeschluss, der einfache Gesetze rückgängig macht, reicht eine einfache Mehrheit. Eine
geänderte Definition von Geschlecht hat außerhalb des Grundgesetzes bei einem trans*feindlichen Backlash, wie
wir ihn gerade erleben, eine Haltbarkeit, die nur bis zur nächsten Bundestagswahl reicht.
Zusammenfassend stellen wir fest, dass der Antrag der drei Bundestagsfraktionen vom 7.11.2019 unvollständig
ist, die Benachteiligung von Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung durch künftige Mehrheiten im
Bundestag erleichtert und den Abbau bestehender Benachteiligungen nicht abbauen hilft.
Das Merkmal „Geschlecht“ im Art. 3 GG muss um den Zusatz „selbsterklärtes“ ergänzt werden.
Petra Weitzel
1. Vorsitzende
Edit:
https://www.bundestag.de/presse/hib/682392-682392
Quellen:
(1)http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/131/1913123.pdf
(2) EuGH, 30.04.1996 - C 13/94
(3)http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/017/1601780.pdf
(4) BAG, 8 AZR 421/14
(5) 1 BvR 2019/16, 10.10.2017
(6) 1 BvR 747/17, 17.10.2017
(7) BvR 3295/07
(8) https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Umfragen/Umfrage_Erweiterung_Art_3_GG.pdf?__blob=publicationFile&v=10