25/10/2019
via Carl Classen.
GRÜN UND GESUND?
BRIEFVORLAGE FÜR PATIENTINNEN UND PATIENTEN
--- vorab: Anlass dieser Briefaktion ---
Anlass ist der Versuch von Aktivistengruppen, aktuell in der Grünen Partei, dort über die Bundesdelegierten-Konferenz am 15.-17. Nov. 2019 das Grundsatzprogramm der Grünen dahin gehend zu ändern, dass die sog. „besonderen Therapierichtungen“ (Homöopathie, Anthroposophische Medizin und Pflanzenheilkunde) in Deutschland keinen gesetzlichen Schutz mehr erhalten und homöopathische Arzneimittel nur noch mit indikationsbezogenem Wirksamkeitsnachweis zugelassen werden können – was bei der Homöopathie sinnfrei ist. Sollte diese Position sich in weiteren Parteien und in der Gesetzgebung durchsetzen – in der SPD steht eine ähnliche Entscheidung aus –, dann werden den Patienten bald weder qualitätsgesicherte homöopathische Arzneimittel noch qualifizierte homöopathische Therapeuten zur Verfügung stehen.
Wir erwarten von allen demokratischen Parteien einen Schutz der therapeutischen Vielfalt und der freien Therapiewahl. Das ist kein Gegeneinander: Homöopathie und Schulmedizin können sich mit Respekt auf jeweilige Grenzen häufig sinnvoll ergänzen. Die Homöopathie bietet oft selbst dann noch Möglichkeiten, wenn die konventionelle Medizin nichts mehr anzubieten hat. Umso mehr überrascht und beunruhigt, dass ausgerechnet die Jugendorganisation „Grüne Jugend“, anstatt eine positive Vorreiterrolle zu übernehmen, mit deutlicher Mehrheit wissenschafts-fundamentalistische Positionen verabschiedet hat. Fundamentalistisch heißt, dass nicht mehr erkenntnisoffen geforscht, sondern ein fixes „wissenschaftliches“ Weltbild verkündet wird. Dieses Weltbild ist gleichermaßen engstirnig wie das (nur vermeintliche) Gegenteil unverhüllter Wissenschaftsfeindlichkeit. Nicht etwa Schulmediziner, sondern ideologische Aktivisten streiten in einem Stellvertreter-Krieg gegen die Homöopathie und versuchen bereits mit Teil-Erfolgen, alle demokratischen Parteien zu infiltrieren.
Bemerkenswert ist, dass der Antrag V-01 der „Grünen Jugend“ unter dem Mantel des Patientenschutzes eingebracht wurde.
Kontaktadressen und Ansprechpartner
.. der grünen Orts-, Kreis- und Landesverbände Ihres Wahlkreises finden Sie hier:
https://www.gruene.de/gruene-vor-ort
Briefe (und Mails) bitte immer mit vollständigem Namen und Adressdaten versehenen !
Briefe (sind besonders wirksam) auch datieren.
Massen-Mails und Schreiben ohne diese Angaben werden als Spam betrachtet und sind eher kontraproduktiv. Im ersten Satz bitte die Geschlechtsform anpassen. Der Text ist ein Vorschlag und kann so übernommen oder gerne auch individuell angepasst werden.
Wer inhaltlich nicht damit einverstanden ist, könnte bspw. die freie Impf-Entscheidung im Abschnitt „Als Patient...“ streichen — oder noch weitere Aspekte einzubringen. Wir empfehlen, das Impf-Thema nicht mit der Homöopathie an sich zu vermischen.
! --- BRIEFVORLAGE / VORSCHLAG --- !
[Betreff:] Grüne Gesundheitspolitik: ganzheitlich, nachhaltig und integrierend?
Sehr geehrte ***
[optional ein oder zwei Sätze zur eigenen Person ...]
Als aufgeklärte/r Patient / Patientin beobachte ich den gesundheitspolitischen Diskurs der Grünen Partei im Vorfeld der 44. Bundesdelegierten-Konferenz mit Erstaunen, mit Sorge und auch ein wenig Hoffnung. Ich beziehe mich dabei auf die unter https://antraege.gruene.de/44bdk einsehbaren Anträge.
Mit Erstaunen, dass ausgerechnet die „Grüne Jugend“ – und mit der Nachwuchs-Organisation womöglich das künftige Personal der Partei selbst – einen Antrag vorbrachte (Antrag V-01), der eine vorgebliche „Bevorteilung der Homöopathie“ beenden soll. Bei näherer Betrachtung stimmen Inhalte wie auch sachliche Fehler ganz mit dem Anti-Homöopathie-Netzwerk INH/GWUP überein (international auch CSI, Committee for Sceptical Inquiry), dahinter stehen auch professionelle Agenturen. In den entsprechenden Netzwerken begeistert man sich gleichermaßen für Gentechnik und Thorium-Brutreaktoren (zur CO2-reduzierten Weiterführung der elektrischen Mobilitätswende). Wie „grün“ ist das alles?
Mit Sorge beobachte ich dies, weil eine Instrumentalisierung von Parteiorganisationen durch außenstehende Gruppen für jede demokratische Partei problematisch und für die Grünen potenziell spaltend ist. Weil die besagten Überzeugungstäter die FDP, die SPD und die CDU mit genau den gleichen Botschaften zutexten. Weil eine blinde Wissenschaftsgläubigkeit propagiert wird, die ebenso wenig hilfreich ist wie die Ignoranz wissenschaftlicher Erkenntnisse. Weil ich die Ideologie dahinter beobachte, die einen Trans- und Neo-Humanismus anstrebt mit einem Weltbild, das Mensch, Natur und Kosmos auf die durch heutige naturwissenschaftliche Methoden erkennbaren „Fakten“ reduziert. Der Glauben an die vorwiegend technologische Lösbarkeit der Menschheitsprobleme kann dabei Züge einer Pseudoreligion annehmen.
Mit Hoffnung beobachte ich, dass die zwischenzeitlich vorgebrachten Anträge V-04, V-19 und V-44 eine echte Chance für die Grünen sind, ihr gesundheitspolitisches Profil umfassend zu aktualisieren im Sinne eines ökologischen, nachhaltigen, wirksamen und integrierenden solidarischen Gesundheitswesens, das auf gesundheitliche Selbstbestimmung gründet und Gesundheitsförderung unterstützt. Gleich, wie mit den Anträgen nun verfahrenstechnisch umgegangen wird: Dieser Prozess wird über die Bundesdelegierten-Konferenz hinaus fortzusetzen sein und muss Experten aller Richtungen einbeziehen.
Hoffnungen habe ich auch für eine ökologischere Landwirtschaft. So ließen sich beispielsweise in der Milchviehhaltung, nach Evaluierungen u.a. der Molkereien Berchtesgadener Land und ZOTT, durch Homöopathie-Anwendung bis zu 80% der Antibiotika einsparen. Sind Rinder besonders gute Placebo-Responder? Nein, dies sind wichtige Perspektiven für eine grüne Agrarpolitik!
https://www.vkhd.de/news-arten-mobil/news-archiv/news-2017/item/320-homoeopathie-hilft-einsatz-von-antibiotika-in-der-milchviehhaltung-zu-reduzieren
Selbstverständlich unterstütze ich die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung von Therapiemethoden, wobei Gleichbehandlung voraussetzt, der Natur nach unterschiedliche Dinge auch unterschiedlich zu behandeln. Die im Antrag V-01 behauptete „Bevorteilung“ der Homöopathie ist unwahr. Andernfalls ließe sich zwecks Gleichbehandlung auch fordern, Luftschiffe mit Rettungsbooten oder ICE-Züge mit Schwimmwesten auszustatten. Arzneimittelgesetz und SGB-V berücksichtigen lediglich, dass bestimmte Arzneimittel nach anderen Kriterien denn als nach Diagnosen verschrieben werden. Daher dürfen für diese auch keine Indikationen angegeben werden. Bei den Anforderungen an die Arzneimittelsicherheit macht die Zulassungsbehörde BfArM allerdings keinerlei Zugeständnisse. Der Antrag V-01 beruht insgesamt auf falschen Prämissen; für eine detaillierte Kommentierung siehe bspw.
https://www.arscurandi.de/offener-brief-an-buendnis-90-die-gruenen/
Die wissenschaftliche Kontroverse zur Homöopathie und anderen natürlichen Heilweisen ist mir bewusst. Der Narrativ „wirkt nachweislich nicht über Placebo hinaus“ stimmt nicht mit der Studienlage überein. Eine große Zahl hochwertiger Studien und Übersichtsarbeiten spricht, wenngleich das „warum und wie“ nicht ganz verstanden wird, sowohl für eine Wirkung homöopathischer Potenzen als auch für die praktische Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen. Wissenschaft generiert Erkenntnisse, nicht Fakten, und ist im Fluss. So war vor 25 Jahren auch der Klimawandel noch eine wissenschaftliche Außenseiterposition und vor 40 Jahren galt die Sicherheit von Atomkraftwerken als wissenschaftlich erwiesen. Auch die so genannte Evidenzbasierte Medizin kann immer nur den jeweiligen Forschungsstand spiegeln. Sie scheint trotz bekannter Schutz-Mechanismen nicht immun gegen interessengelenkte Beeinflussung, wie zuletzt in Australien:
https://www.bph-online.de/australien-studie-spricht-von-belegen-fuer-homoeopathie/
Kosten-Einsparungen zu Lasten der Homöopathie scheinen angesichts eines Anteils von 0,03 Promille der Ausgaben im Gesundheitssystem keine wirklich gute Idee zu sein. Wer hinter diesen Zahlen eine millionenschwere „Homöopathie-Lobby“ sieht, will vielleicht von Anderem ablenken.
https://www.naturundmedizin.de/homoeopathie-und-die-gesetzliche-krankenversicherung.html
Als Patient will ich weder auf die naturwissenschaftliche Medizin noch auf die Homöopathie und andere naturgemäße Heilmethoden verzichten. Zu allen Gesundheitsfragen möchte ich auf angemessene Weise beraten werden und für mich und meine Kinder selbst entscheiden können.
Ich bin verwundert, dass (grüne?) Politiker sich für einen Impfzwang aussprechen, während sogar eindeutige Impf-Befürworter diesen nicht für zielführend halten. Daher unterstütze ich auch die Anträge V-15 und V-43.
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/09/25/rki-praesident-spricht-sich-gegen-impfpflicht-aus
Nach dem Antrag der „Grünen Jugend“ werde ich sehr genau beobachten:
Wird die Grüne Partei dem (pseudo-)wissenschaftlichen Fundamentalismus bestimmter Gruppierungen entgegenkommen?
Pflegt die Partei ein wissenschaftlich offenes Weltbild und steht sie zu einem pluralistischen Gesundheitswesen?
Stehen die Grünen zu gesundheitlicher Selbstbestimmung als einem unveräußerlichen Grundrecht, das nur bei einer sehr konkreten Gefährdung Dritter, und nicht aus allgemeinen gesundheitspolitischen Erwägungen heraus eingeschränkt werden darf?
Oder lässt man sich in einem verschobenen Glaubenskrieg vor den Karren Anderer spannen?
http://www.provings.info/blog1?post_id=55&title=leserbrief-zum-artikel-%E2%80%9Eglaubenskrieg-um-globuli%E2%80%9C-aus-der-taz-vom-141019-
Meine persönlichen Wünsche als Patientin sind:
● freie Therapiewahl
● selbstbestimmte Entscheidungen zu allen Gesundheitsfragen inklusive Impfungen
● durch Selbstbestimmung mehr Motivation zu einer gesunden Lebensweise
● ein gutes Miteinander von Komplementär- und naturwissenschaftlicher Medizin
● ein gutes Miteinander aller Gesundheitsberufe
● Beratung auf Augenhöhe und Patientenschutz ohne Bevormundung
● eine wissenschaftliche und zugleich erkenntnisoffene Fundierung grüner Politik
Mein künftiges Wahlverhalten wird davon abhängen, ob unsinnige Debatten, wie von Teilen der „Grünen Jugend“ eingebracht, in der Partei eine Fortsetzung finden oder ob die Grüne Partei sich zu einem klaren Bekenntnis zu den genannten Anliegen durchringen kann.
Mit freundlichen Grüßen
hier: VOLLSTÄNDIGER NAME UND ADRESSE
Ein nicht gedruckter Leserbrief an die taz: Glaubenskrieg um Zuckerkügelchen?- um was geht es wirklich?