29/04/2021
Mehr desselben. Paul Watzlawick, einer der führenden Professoren und Autoren für Kommunikation und Psychotherapie hat diesen Begriff bereits 1974 bekannt gemacht. Er beschreibt ein sehr menschlichen Phänomen, nämlich: eine Handlungs-Maßnahme zu verstärken. In seinem Buch Lösungen stellt er das Heizen im Winter als Beispiel vor. Wenn es kälter wird, müssen wir einfach mehr heizen. Ja, wird jeder sagen, einleuchtend und erwärmend. Umso erstaunlicher, dass das, was in vielen Fällen wirklich sinnvoll ist, in manchen Situationen das Problem verstärken kann. Dann nämlich, wenn die Lösung selbst das Problem erzeugt. Als Beispiel führt er das Thema Alkoholkonsum an. Übermäßiger Alkoholkonsum schadet der Gesundheit und bringt soziales Leid. Ein massives Bekämpfen, wie in den Zeiten der Prohibition in den zwanziger Jahren in Amerika, vergrößerte jedoch das Problem. Vermehrter Alkoholismus, illegale Schnapsbrennereinen, kriminelle Dynamik usw.
Für gut ausgebildete Personen in den Bereichen des Coachings oder der Psychotherapie ist dies ein wichtiges Grundlagenwissen, denn Menschen handeln weniger aus Vernunft sondern aus Motivquellen heraus. „Corona-Bekämpfungs-Strategen“ sollten dies auch beherzigen. Sie scheinen sich jedoch sehr einseitig auf äußere Faktoren zu beziehen. Die Tatsache, dass Erreger über die Atemluft verbreitet werden. Folglich scheint es sinnvoll, mit Masken Atemluftkontrolle zu betreiben. Ist ja auch eine bewährte Methode im OP. Also Masken auf für beiden Seiten. Die, die ausatmen und die, die einatmen. Und wenn das nicht reicht, dann mehr Atemluftkontrolle in Form von Abstand. 1 m, 1,5 m, 2 m und noch mehr. Am besten Ausatmer und Einatmer nicht zusammen kommen lassen. Kontakte vermeiden.
Also, alles nachvollziehbar. Kontrolle und noch mehr Kontrolle. Viel Kontrolle erzeugt jedoch bei etlichen Menschen eine Gegenreaktion: Stichwort Autonomiemotiv. Außerdem scheint es so zu sein, dass das Beisammensein von Menschen Suchtpotential hat – wie Alkohol? Nein, es ist ein Grundmotiv des sozialen Wesens Mensch. Und deshalb treffen sich die Menschen dort, wo der Staat bisher nicht kontrolliert – zu Hause, privat. Und wer stundenlang in kleinen Räumen zusammen ist, der tauscht dann doch das ein oder andere aus. Also, mehr desselben: Regeln für die Anzahl der Besucher, nächtliche Ausgangssperren, Versuche den Leuten Angst zu machen. Die am Anfang gut gemeinten Maßnahmen scheinen das Problem zu verschärfen. Jeder, der mit dem Thema Verhaltensänderung zu tun hat, weiß, nachhaltige Veränderung kommt von innen. Aus diesem Grunde ist die sogenannte Corona-Müdigkeit, vielfach eine erschöpfte Bereitschaft, Anordnungen zu befolgen und Bedürfnisse weiterhin hinten anzustellen. Welche Motivquellen und Dynamiken sind nicht berücksichtigt? Hier könnte ich vom Beziehungsmotiv über das Fürsorgemotiv, das Anerkennungsmotiv, das Autonomiemotiv, das Sicherheitsmotiv eine ganze Reihe anfügen und eine große Abhandlung schreiben. Letztendlich ist es immer dasselbe. Welches Motiv, welcher Nutzen spielt eine Rolle. Ein weiterer Anteil stellt eine Unzufriedenheit dar, die ohnehin in den Menschen steckt und jetzt eine Projektionsfläche gefunden hat. Ja, ja, die menschliche Psyche ist vielschichtig, wollen wir uns damit überhaupt befassen?
So wie unsere Medizin bei all den segensreichen Errungenschaften immer mehr eine Maschinenmedizin geworden ist, so konsequent missachten auch andere Berufsgruppen die sozialen und psychischen Anteile des Menschseins, wie auch das Beziehungsgeflecht des Ökosystems und größerer Systeme. Bevor also der Entschluss gefasst wird, eine Maßnahme zu verstärken – mehr desselben – kann es gut sein, inne zu halten und zu prüfen, wie das Problem entsteht und sich erhält, um dann zu schauen, welche Verhaltensweisen wirklich weiterbringen. Kommunikation, Entscheidungstransparenz und Rückmeldung der Effekte sind gute Ziele. Da werden wir über Fehler reden müssen und Unsicherheiten benennen. Ist das gewollt? Bei uns Bürgern? Weht in Führungsetagen dieser Geist? Oder ist es mit der
vielpropagierten „guten Fehlerkultur“ (gemeint ist, Menschen Irrtum und Fehler zuzugestehen) nicht weit her ist, und stattdessen „draufhauen“ viel populärer?
Müssen wir uns wundern, dass wir selbst offenen Auges „Unsinn“ betreiben?
Dass die die politisch Regierenden im „Superwahljahr“ weiterhin „alles richtig“ machen. Durch alle Parteien in den Bundesländern wie auch im Bund.
Und die Opposition natürlich völlig anderer Meinung ist?
Mehr desselben ist etwas, was uns alle angeht. Wir können mit dem Finger auf die anderen zeigen – mehr desselben – doch wirklich ausgewogener wird die Welt durch mehr „Selbstreflexion und mehr konstruktiven Dialog“.
Herzliche Grüße, Dr. Stefan Ahlstich, Institutsleiter des Hypnose Kollegiums. www.hypnose-dr-ahlstich.de