13/04/2025
Diese kleine Geschichte ist mir auf meiner Laufstrecke in den Sinn gekommen:😊
Die kleine Prise Kakao
Es war einmal eine kleine Prise Kakao. Sie lebte in einem Vorratsschrank einer wunderschönen und großen Wohnküche im weißen Landhausstil, gleich neben der Packung Kaffee. Vor ein paar Jahren hätte die kleine Prise Kakao noch von sich gesagt, sie sei ein leckerer und vollmundiger Kakao mit einer Note von Zartbitterschokolade. Ein Kakao, den jeder gerne trinken möchte, nach dem sich alle sehnen. Vor allem aber waren die kleinen Kinder ganz verrückt nach ihr. Doch nun, da alle Kinder schon lange aus dem Elternhaus ausgezogen waren, fühlte sich die kleine Prise Kakao eben nur noch wie eine kleine Prise Kakao. Winzig, ungeliebt, zu nichts nütze, sinnlos, einfach als würde es sie gar nicht mehr geben. Keiner fragte nach ihr. Keiner mochte sie mehr trinken. Und wenn die Kinder doch noch einmal zu Besuch kamen, griffen sie natürlich auch zum Kaffee, denn sie waren ja nun keine Kinder mehr. Die Packung Kaffee versuchte regelmäßig die kleine Prise Kakao aufzumuntern, indem er sie in den Arm nahm und stumm ihren Schmerz teilte. Aber das war für die kleine Prise Kakao nur ein schwacher Trost, denn jedes Mal, wenn jemand die Tür zum Vorratsschrank öffnete, wurde nach dem heißbegehrten Kaffee gegriffen. Dabei fielen Sätze wie „jetzt brauche ich erst einmal eine schöne Tasse Kaffee“ oder „was wäre ein Leben ohne Kaffee“. Der Packung Kaffee tat es in diesen Momenten in der Seele weh, die tiefe Traurigkeit der kleinen Prise Kakao mit ansehen zu müssen, aber er hatte keine Ahnung, wie er ihr helfen könnte.
An einem schönen Sommertag, als die aufgehende Sonne schon sehr früh die einladenden Räume mit ihrem warmen Licht durchflutete, fühlte sich die kleine Prise Kakao irgendwie anders. Sie spürte so eine angenehme Aufregung, fast wie eine leichte Vorfreude. Auch die Traurigkeit lag heute nicht ganz so schwer auf ihren schmalen Schultern. Das konnte sich die kleine Prise Kakao überhaupt nicht erklären, stand doch heute wieder eine große Feier an, zu der viele Gäste geladen waren, die natürlich alle wieder einen vollmundigen Kaffee angeboten bekommen würden. Wie sehr hasste die kleine Prise Kakao solche Tage. Immer wieder würden fleißige Hände sich an der Packung Kaffee bedienen und für die kleine Prise Kakao noch nicht mal einen einzigen Blick übrig haben.
Schon hörte sie, wie die ersten Gäste eintrafen und lautes Stimmengewirr und Gelächter die Räume füllte. Die kleine Prise Kakao bereitete sich innerlich schon auf die Schmach vor, die ihr nun wieder einmal bevor stand. Schon wurde die Tür geöffnet und eine wohlbekannte Hand griff nach der Packung Kaffee, die sich gerade noch achselzuckend und mit einem stummen Blick bei der kleinen Prise Kakao entschuldigen konnte. Doch bevor die Tür wieder geschlossen wurde, hörte die kleine Prise Kakao wie jemand sagte: „Sag mal, kennst Du das Geheimrezept für den besten Kaffee der Welt? Das habe ich von meiner Großmutter“. „Sie hat auf eine Kanne Kaffee immer eine kleine Prise Kakao dazu gegeben – ich sage Dir, das schmeckt himmlisch“.
Und ehe sich die kleine Prise Kakao versah, waren alle Blicke auf sie gerichtet. Sie hatte noch nicht einmal mehr Zeit, sich ein wenig herzurichten. Sie schaffte es gerade noch ihre schmalen Schultern ein wenig zu straffen und ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern, als sie ebenfalls aus dem Schrank genommen wurde und dann mit einem lauten und himmelhoch jauchzenden Aufschrei neben dem Kaffee landete, der sie mit offenen Armen und einem strahlenden Lächeln empfing.
Von da an wurde Kaffee grundsätzlich nur noch mit einer kleinen Prise Kakao gekocht, weil er nach diesem Rezept wirklich himmlisch schmeckte und niemand mehr auf die kleine Prise Kakao verzichten mochte.
Die kleine Prise Kakao nannte sich fortan immer noch die kleine Prise Kakao, fühlte sich aber riesengroß und unersetzlich.