10/04/2025
Die psychologischen Schäden der Ernährung durch Drama: Und wie geht es dir eigentlich?
Kübra Hülya Arıcı Sorrentino
Der menschliche Geist funktioniert als eine Maschine auf Sinnsuche. Es kann heilend sein, in Schmerz, Enttäuschung und Mangel einen Sinn zu entdecken. Doch für manche Menschen wird das Drama nicht nur zu einer vorübergehenden Bedeutung, sondern zu einem Lebensstil. Das, was wir als „sich vom Drama ernähren“ bezeichnen, beschreibt die Tendenz, bewusst in schmerzhaften Geschichten zu verweilen. Dahinter steckt meist ein Bedürfnis nach Gesehenwerden, nach Anerkennung und ein Versuch, die Kontrolle nicht zu verlieren.
Drama verschafft Sichtbarkeit. Zu sagen: „Schaut, was ich alles durchgemacht habe“, wird zu einem Mittel, um sich wertvoll zu fühlen. Doch dieses Wertgefühl ist nicht gesund – denn Drama baut kein Selbstwertgefühl auf, es zersetzt es. Der Mensch ist nicht die Summe seines Schmerzes, aber je mehr er dramatisiert, desto mehr identifiziert er sich mit diesem Schmerz. Und das führt psychologisch zur Entwicklung einer sogenannten Opferidentität.
Diese Opferidentität macht den Menschen passiv. Das Leben wird als Gegner gesehen, Eigenverantwortung wird abgelehnt. Alles ist die Schuld äußerer Umstände. Das stellt ein ernsthaftes Hindernis für die persönliche Entwicklung dar. Mit der Zeit beginnt die Person, lösungsfern und problemorientiert zu denken. Dies wiederum bereitet den Boden für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen.
Ein Beispiel: Elifs Geschichte
Elif ist 28 Jahre alt und eine erfolgreiche Grafikdesignerin. In ihrem Umfeld ist sie bekannt als „sehr emotional“ und „eine, die alles intensiv erlebt“. Bei jedem Treffen mit Freund:innen erzählt sie von toxischen Beziehungen, von Kränkungen innerhalb ihrer Familie und davon, wie sehr sie im Job missverstanden wird. Andere bewundern sie dafür, wie stark sie trotz allem geblieben ist – und je öfter Elif das hört, desto mehr erzählt sie.
Was Elif aber nicht erkennt: Jede Wiederholung reißt die Wunde neu auf. Ihr Geist will keine Lösung, sondern Wiederholung. Denn das Drama bringt ihr Aufmerksamkeit. Wenn ihr Leben mal ruhig verläuft, wird sie unruhig. „So viel Ruhe ist nichts für mich“, sagt sie. Denn Frieden macht sie unsichtbar. Doch um gesehen zu werden, muss man nicht leiden.
Elifs Erlebnisse waren real, ja. Aber sie am Leben zu halten, untergrub ihren inneren Heilungsprozess. Als sie mit einer Therapie begann, erkannte sie zum ersten Mal: „Wenn ich leide, bekomme ich mehr Aufmerksamkeit. Ich habe Angst, allein zu sein, wenn ich glücklich bin.“ Diese Erkenntnis war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu sich selbst.
Sich vom Drama zu ernähren ist eine Form der Abhängigkeit. Und wie jede Abhängigkeit macht sie am Ende einsam, erschöpft und leer. Der Mensch wächst nicht, indem er sich an seine dramatischen Geschichten klammert – sondern indem er sich von ihnen verabschiedet. Denn wahre Stärke bedeutet, den Mut zu haben, zu heilen.