11/04/2021
So wie die Stille die Grundlage für das Hören und Lauschen ist, ist der Raum die Grundlage für das Sehen und Schauen. Ohne Stille ist kein Geräusch, ohne Raum sind keine Formen und Farben wahrnehmbar. Das ist derartig banal, dass wir im Alltag keinen Gedanken daran verschwenden, doch üben wir uns in der Bewusstheit der Stille und des Raums, kann uns das zu einer inneren Zufriedenheit führen, die kaum zu erschüttern ist.
Das hat Tolstoi am Ende des 16. Kapitels des 3. Buchs von "Krieg und Frieden" sehr schön illustriert, als Fürst Andrej Bolkonski in der Schlacht von Austerlitz verwundet wird:
"Was ist das? Falle ich? Die Beine knicken mir ja ein!" dachte er und fiel auch schon rücklings zu Boden. Er öffnete die Augen, in der Hoffnung nun endlich zu sehen, was für einen Ausgang der Kampf zwischen dem Franzosen und dem Artilleristen genommen hatte[...]. Aber er sah nichts. Über ihm war nichts als der Himmel, hoher, nicht gerade klarer, aber unermesslich hoher Himmel mit still und langsam dahinziehenden grauen Wolken. "Wie still, wie ruhig und feierlich das ist", dachte Fürst Andrej, "so ganz anders als all unser Laufen, Schreien und Kämpfen. Wie der Franzose und der Artillerist mit so erbitterten und verstörten Gesichtern einander den Stückwischer streitig machen wollten . . . das war so ganz anders als dieser ruhige Wolkenzug an diesem hohen, unendlichen Himmel. Und wie kommt es eigentlich, dass ich diesen hohen Himmel vorhin gar nicht wahrgenommen habe? Und wie glücklich bin ich,
dass ich ihn endlich doch noch kennengelernt habe! Ja, alles ist nichtig, alles ist Lug und Trug außer diesem unendlichen Himmel. Es gibt nichts, nichts, gar nichts außer ihm. Aber auch diesen Himmel gibt es ja gar nicht, es gibt überhaupt nichts außer dieser Stille, dieser Ruhe. Und Gott sei Dank, dass es so ist."