24/06/2025
Viele von euch kennen das: Man beugt sich nach vorne, um einen heruntergefallenen Stift aufzuheben, und überlegt kurz, ob das jetzt schon Sport war. Nicht weil der Körper plötzlich versagt, sondern weil er anfängt, die Rechnung zu stellen. In Raten. Ohne jede Form der Vorankündigung.
Das Alter – oder nennen wir es freundlicher: die späte Reife – kommt in der Regel nicht mit Pauken und Trompeten, sondern schleicht sich an wie eine Katze mit Arthritis. Lautlos, aber mit Konsequenzen. Und doch ist das Alter kein Verlustgeschäft. Es ist bloß ein neuer Vertrag mit anderen Bedingungen. Die Zinsen steigen, ja – aber man bekommt auch Zugriff auf einen Schatz, den Jüngere nicht einmal zu buchstabieren wissen: Gelassenheit.
Was früher ein Drama war, ist heute ein milder Schulterzucken-Moment. Menschen, die sich aufregen, weil jemand in der Schlange drängelt, bekommen ein Lächeln – kein moralisches, sondern eins, das sagt: „Du wirst auch noch ruhiger. Oder müder. Oder beides.“ Und das ist einer der Vorteile: Die emotionale Filteranlage ist feiner geworden. Nicht, weil man abgestumpft wäre, sondern weil man gelernt hat, dass nicht alles, was stört, auch wichtig ist.
Mit den Jahren kommt eine absurde Form von Freiheit. Die der Prioritäten. Man muss nicht mehr überall dabei sein, man will auch gar nicht. Die berühmte FOMO (fear of missing out) wird abgelöst durch JOMO – the joy of missing out. Es ist ein seliges Gefühl, zu wissen, dass man auch ohne Aftershow-Party existiert, ja sogar überlebt.
Man weiß plötzlich, was man kann. Aber auch, was man nicht kann – und das ist keine Niederlage, sondern ein Befreiungsschlag. Der Wille, es allen recht zu machen, bröckelt. Und unter diesem abgetragenen Putz kommt etwas Wunderschönes zum Vorschein: man selbst.
Man wird nicht automatisch weise, nur weil man älter wird – aber man wird leiser. Und in dieser Stille hört man endlich wieder etwas, das man früher oft übertönt hat: das eigene Gefühl.
Der Blick auf die Welt verändert sich auch. Nicht zwangsläufig zum Zynischen, sondern zum Klareren. Es ist, als hätte man endlich die Brille gefunden, die einem nie gepasst hat – und nun sieht man, dass manche Dinge nie besonders scharf waren. Nur laut.
Und ja – der Körper macht manchmal Faxen, wo früher alles noch lief wie geschmiert. Aber dafür macht der Kopf weniger Faxen. Und das ist ein fairer Tausch.
Alt zu werden ist kein Makel. Es ist ein Geschenk, das man nicht einfordern kann, nur verdienen.
Und irgendwann begreift man: Die Jugend ist ein Versprechen, das man nicht halten muss – das Alter ist die Antwort auf Fragen, die man früher noch gar nicht gestellt hat.
Gruß an meine Lesewesen.
Euer Tim