20/03/2024
Erschreckend, wie manche Menschen den Bezug zur kindlichen Entwicklung verloren haben. Der Bildausschnitt stammt aus einer Ebay-Annonce… 😢
Ich bin ja in diversen Facebookgruppen aktiv und immer wieder fragen Eltern, wie man (einem ansonsten gesund entwickelten Kind) bestimmte Entwicklungsschritte „beibringen“ soll.
Laufen z.B.
Sie verstehen nicht, das Entwicklung etwas ist, das sich (bei ansonsten „normal“ entwickelten Kindern) „ent-wickelt“ und dass „Erfolg“ dann etwas ist, „das folgt“!
Es folgt ganz automatisch, wenn die Grundlagen gelegt wurden!
Beim Thema Sitzen haben es viele schon verstanden:
Man soll Babys nicht passiv hinsetzen - sie sollen erst dann längere Zeit sitzen, wenn sie selbständig in den Sitz hineinkommen und ihn auch wieder verlassen können.
Denn die Kleinen müssen erst genug Basiserfahrungen machen: Muskeln aufbauen, Gleichgewichtssinn entwickeln etc.
Irgendwann ist dann der „Reifepunkt“ erreicht und es setzt sich komplett selbständig hin.
Genau so ist es auch bei einem gesund bzw „normal“ entwickelten Kind mit den Themen Lesen, Schreiben und Rechnen!
Vorzeitig an etwas „ziehen zu wollen“, das vom Entwicklungsverlauf noch gar nicht „dran“ ist, hat in der Regel negative Auswirkungen - ähnlich wie beim vorzeitigen Aufsetzen eines Kindes.
Und das gilt auch für andere Entwicklungsabläufe!
Im Alter von 3 muss und sollte man nichts Schulisches beibringen, sondern mit den Kindern spielerisch die Basis festigen:
Durch Spielen und durch das Einbeziehen der Kinder in den Alltag!
Farben, Formen, Mengen, Längen sortieren, Socken sortieren, Handtücher falten, beim Kochen mitmachen, Schnippeln/Schneiden (auch Gemüse), Werkeln, Basteln, Ausmalen, Abmalen, freies Malen, Kreativ sein, Rollenspiele, erste Gesellschafts-/Regelspiele, Puzzle, Koordinationsspiele, Konstruktionsspiele, Körperspiele, Klatschspiele, Singspiele, Verse/Reime, Straßenmalkreide,….
Die Entwicklungsaufgaben von Kindern im Alter von 2-4 Jahren sind:
💫 Basisfertigkeiten der Motorik entwickeln
💫 dem inneren Bewegungsdrang durch Bewegungsspiele nachgehen
💫 beginnende Kontinenzentwicklung - Kontinenz ist auch etwas, das folgt, wenn die Körperwahrnehmung und Regulation soweit ist… aber im Alter von 2-4 Jahren sind sie in der Regel das erste Mal neugierig auf das Töpfchen und probieren sich da aus. 50% der Kinder zeigen mit 2;4 Jahren Eigeninitiative und Interesse fürs Töpchen und sind offen für elterliche Unterstützung. Mit spätestens 4 Jahren können 90% ihre Blase tagsüber kontrollieren.
💫 zunehmende Selbstregulation entwickeln, sich langsam autonomer werdend auch von den Bezugspersonen lösen können.
💫 Spielverhalten: Variationen im Spiel erfahren, verschiedenste Spielarten durchleben (Rollenspiel, Konstruktionsspiel, Körperspiele, Sinnesspiele, erste Regelspiele,…)
💫 Entwicklung des Zeichnens
💫 Sprachentwicklung (ich habe z.B. nichts gegen eine Nanny, die z.B. englisch spricht im Spiel- und Alltagsumgang - jedoch hätte ich etwas gegen „Englischunterricht“
💫 Entwicklung von Perspektivübernahme
💫 Initialisierung prosozialer Verhaltensweisen
Wenn mich Menschen fragen, wie sie die Entwicklung unterstützen können, ist mein Punkt 1 immer:
Das weglassen, was den gesunden Lauf der Entwicklung hemmen könnte.
Und dazu gehört auch das verkopfte Beschulenwollen von 3-Jährigen….
Punkt 2 ist übrigens: Ungeteilte Aufmerksamkeit (Handy weg!) mit dem Kind, gemeinsam Zeit erleben und sensibel auf das Neugier-und Entdeckerverhalten eingehen, OHNE ständig zu reden oder ständig etwas erklären zu wollen.
Und Punkt 3: Weniger „sagen“, mehr „fragen“. Damit meine ich: Verstehen, wo das Kind gerade wirklich steht. Sich auch mal auf SEINE Spielidee einlassen können und das begleiten - auch, wenn man z.B. das Spiel eigentlich ganz anders spielen würde.
Wenn das Kind dann aus innerer Neugierde/ einem Inner Drive heraus schon Buchstaben, Zahlen etc kennenlernen möchte, muss man es ihm nicht vorenthalten - aber eben nichts „unterrichten“!
Wer sich Sorgen macht, ob man doch etwas „nachhelfen“ sollte, möge sich zunächst vertrauensvoll an kompetente Kinderärzt:innen oder Ergotherapeut:innen wenden. Orientierend kann man die Meilensteinangaben und Grenzsteinangaben nutzen.
Wird eine Fähigkeit zu einem Meilensteinzeitpunkt nicht gekonnt, darf man aufmerksam werden, sich über die Vorläuferfähigkeiten informieren und das weglassen, was die Entwicklung hemmt. Oder auch das Spielen, die Bewegungsintensität und den Einbezug in den Alltag erhöhen. Aber kein Grund zur Sorge.
Wird etwas zu einem Grenzsteinzeitpunkt nicht gekonnt, ist erhöhte Wachsamkeit gefragt, denn dann besteht der Verdacht auf eine Entwicklungsverzögerung oder -störung, die näher betrachtet und ggf medizinisch-therapeutisch unterstützt werden sollte.
Die Fragen in der erweiterten Vorsorgeuntersuchung haben Grenzsteincharakter. Oft ist es eine IGEL-Leistung, aber ich gehe auch in meinem Minikurs zum Thema Stifthaltung und Malentwicklung darauf ein (www.elkekumar.de/stiftmotorik).
Zurück zur Ebay-Anzeige:
Wie viel Druck muss auf diesem Kind liegen, das doch irgendwie ein „Produkt“ werden soll? Zumindest wirkt es so auf mich.
Wie soll überhaupt „Unterricht“ für diese Dreijährige aussehen?
Still am Tisch sitzen üben?
Papier-Bleistift-Aufgaben lösen?
Fremdbestimmte Aufgaben einer „Nachhilfelehrerin“ bearbeiten?
Das ist genau das Gegenteil von Entwicklungsförderung!!!
Das Fatale:
Das Kind wird merken, dass es den Erwartungen nicht entsprechen kann.
Denn es ist schlicht nicht möglich, Entwicklungsschritte zu trainieren, für welches Kinder per Gesetz der Natur noch nicht reif sind, da der Reifestand im Nervensystem per Gesetz der Natur noch nicht erreicht ist.
Falls mir nicht geglaubt wird, hilft vielleicht ein Zitat aus dem tollen Fachbuch „Die kindliche Entwicklung verstehen“ von Oskar Jenni:
„Es gibt keine Möglichkeiten, diese Reifungsprozesse durch Übung zu beschleunigen. Normale Umwelterfahrungen reichen aus, damit Kinder diese Entwicklungsschritte zeigen.“. (Seite 19).
Aus diesem Grunde sollte auch eine Entwicklungsüberprüfung stattfinden, wenn bestimmte Entwicklungsschritte nicht oder nur stark verzögert gemacht wurden - denn dies ist dann ein möglicher Hinweis darauf, dass es kritische Themen bei den Grundlagen/Voraussetzung für die weitere Entwicklung gibt.
Und dann kann man eine Förderung einleiten - diese sieht dann aber in der Regel eben so aus, dass an den Grundlagen/der Basis gearbeitet wird!
Zurück zu dieser auf mich erschreckend wirkenden Suchanzeige bei Ebay.
Ich frage mich nämlich…
Ob diese Eltern ihr Kind wertfrei und bedingungslos lieben können?
Ob sie echte Freude an ihrem Kind haben?
Ob sie offen sind für das Wesen des Kindes - auf dessen Einzigartigkeit?
Welche Ängste müssen diese Eltern plagen - welchen Druck müssen sie spüren…
Möglicherweise ist die Annonce in Ebay lediglich ein blöder Scherz… ich fürchte jedoch:
Es ist purer Ernst.
Frühkindlichen Bildung ist enorm wichtig, ja!
Aber:
Frühkindliche Bildung geht anders!
Wer Interesse hat, wie man die Vorläuferfähigkeiten spielerisch stärken kann, ohne schulisches „Unterrichten“ vorwegzunehmen, kann mich anschreiben, denn ich habe hierzu spezifische Kurse. Für Eltern. Um sie dabei zu begleiten, ihr Kind zu begleiten.
Was denkt ihr, wenn ihre diese Ebay-Annonce lest?
Liebe Grüße von Elke