Pferdepraxis für Osteotherapie & Zahnbehandlungen

Pferdepraxis für Osteotherapie & Zahnbehandlungen Als promovierte Tierärztin ca. 20 km nördlich von Ulm habe ich mich auf osteopathische (nach DIPO) und Zahnbehandlungen bei Pferden spezialisiert.

20/10/2024

Hier noch eine Ergänzung zu meinem letzten Beitrag hinsichtlich der Meta-Studie zum Reiten hinter der Senkrechten bzw. eigentlich zum Thema positive Grundspannung: Neben dem Training der Bauchmuskulatur, die das Reitergewicht trägt, gehört natürlich auch das Training der Rumpfträger, die den Brustkorb anheben. Sackt dieser nach unten zwischen die Schulterblätter ein, muss das Pferd seinen Schwerpunkt zur Seite verlagern, um sich beim Anheben einer Vordergliedmaße im Gleichgewicht zu halten. Dies erreicht es entweder durch den in Richtung Standbein "geschwenkten" Hals oder durch eine weggedrückte Schulter auf Seite des Standbeines. Das führt bei einem zusätzlichen Reitergewicht auf dem Rücken zu einer Fehlbelastung oder fehlenden Belastung der jeweiligen Muskulatur. Damit ergibt sich auf Dauer bei manchen Muskeln eine sogenannte Atrophie (die Muskulatur verschwindet) und bei anderen eine schmerzhafte Verspannung mit zunächst festzustellender Hypertrophie (Muskelzubildung) und bei lange andauernder Überlastung wiederum zu einer Atrophie. Entscheidend ist es also, dem Pferd abzuverlangen, seinen Brustkorb anzuheben. Erst wenn es dazu ausreichend in der Lage ist, sollte ein Reiter auf seinem Rücken Platz nehmen. Ihr könnt das auch im Vierfüßlerstand ausprobieren, dazu braucht Ihr noch nicht einmal jemand auf Eurem Rücken sitzen zu lassen: Im Vierfüßlerstand versucht Ihr mal Bauchmuskulatur und Rumpfträger ohne Spannung zu lassen, das heißt Ihr fallt ins Hohlkreuz und Ihr lasst Euren Brustkorb nach unten sinken (dadurch kommen die Schultern nach oben). Wenn Ihr so steht, versucht mal eine Hand vom Boden zu lösen. Um nicht auf die Nase zu fallen, werdet Ihr Euer Gewicht zur "Standhand" verlagern. Dadurch "wandert" Eure Stützhand unter den Schwerpunkt. Wollt Ihr aber das Gewicht in der Mitte halten (so als ob Ihr noch beide Hände auf dem Boden habt), müsst Ihr Euren Brustkorb anheben und die Bauchmuskulatur mitanspannen. Und siehe da - Ihr könnt Euch mittig halten. Was Ihr mit Hilfe dieses Selbstversuches allerdings auch schnell feststellen werdet: 1. Bei der Gewichtsverlagerung über die Stützhand mit abgesacktem Brustkorb (!) tun einem die Muskeln schon nach wenigen Sekunden weh = Fehlbelastung. 2. Bei Anspannung der Rumpfträger mit Anheben des Brustkorbes und der Bauchmuskulatur tun die Muskeln zwar zunächst nicht weh, aber man merkt schnell, wie anstrengend das ist. Probiert es doch einfach mal aus😉. Und so geht es unseren Pferden auch. Wenn die Muskulatur nicht trainiert ist, ist diese korrekte Haltung sehr, sehr anstrengend. D.h. Ihr könnt dieses Muskeltraining am Anfang nur kurze Zeit abverlangen, dann sind die Pferde k.o. Erst mit der regelmäßigen Übung = Training werden die Muskeln kräftiger und halten diese (korrekte) Belastung immer länger aus. Und hier gilt auch der Grundsatz: Du kannst nur einen lockeren/entspannten Muskel trainieren, keinen verspannten! Also fehlbelastete, verspannte Muskulatur erst lockern und schmerzfrei machen und dann erst trainieren!

An dieser Stelle möchte ich auf eine ganz aktuelle Meta-Studie aufmerksam machen: Es geht dabei um die Beurteilung, ob e...
14/10/2024

An dieser Stelle möchte ich auf eine ganz aktuelle Meta-Studie aufmerksam machen: Es geht dabei um die Beurteilung, ob ein Reiten hinter der Senkrechten tierschutzrelevant ist.
Dazu wurden 58 bereits bestehende Studien ausgewertet. Berücksichtigt wurden Wohlbefinden der Pferde, der Einfluss auf die Performance und die physiologischen Konsequenzen bei Stirn-Nasen-Positionen hinter der Senkrechten, also einer Hyperflexion des Nackenbereiches und den nachfolgenden Halswirbeln.
Die Ergebnisse sind klar: Alle drei untersuchten Punkte zeigen, dass eine deutliche Mehrheit der Pferde durch solche Reit- und Ausbildungsmethoden mental und physisch negativ beeinflusst wird und diese bezüglich der Performance keine Vorteile bringen. Das gilt für alle (!) Stirn-Nasen-Linien, die sich hinter der Senkrechten befinden, auch die LDR-Reitweise (= low deep round). Die genauen Ergebnisse lauten:
1. "The consensus is that there are negative welfare consequences for horses required to perform with a hyperflexed HNP."
= Es gibt negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Pferde beim Reiten mit Hyperflexion der Hals-Nacken-Position.
2. "Seventy-five per cent of the peer-reviewed articles raised concerns about the welfare of horses working in this posture, and the current meta-analysis revealed that welfare implications arise irrespective of factors such as the horses’ level of dressage training, prior experience with the posture, the way hyperflexion was achieved, or the duration or degree of hyperflexion."
= 75% der begutachteten Artikel erheben Bedenken wegen des Wohlbefindens der Pferde, die in dieser Position arbeiten und diese Metastudie zeigt, dass Beeinträchtigungen des Wohlbefindens unabhängig sind von Dressur-Ausbildungslevel, frühere Erfahrungen mit dieser (Nacken-Hals-) Position, der Art, wie die Hyperflexion erreicht wird und der Dauer oder dem Grad der Hyperflexion.
3. "A concurrent assessment of the evidence for performance benefits from hyperflexing horses’ necks showed that a significant majority (65%) of studies failed to find benefits of training horses in this way."
= Eine gleichzeitige Beurteilung der Nachweise, dass Hyperflexion Vorteile für die Performance der Pferde bringe, erbrachte, dass 65% der Studien die Vorteile eines solchen Trainings nicht belegen konnten.
4. "On balance, it appears that the costs associated with training BV exceed the potential benefits of the activity for horses. This finding should inform cost‒benefit considerations and ethical decision-making around these techniques in equitation."
= Alles in allem scheint es, dass die Kosten, die mit einem solchen BV-Training (BV = behind vertical = hinter der Senkrechten) einhergehen, die möglichen Vorteile für die Aktivität der Pferde übersteigen. Diese Ergebnisse sollten bei Kosten-Nutzen-Abwägungen und ethischen Entscheidungen hinsichtlich der Nutzung dieser Techniken im Reitsport Berücksichtigung finden.
5. "When animals are used in sports, our ethical responsibilities are extraordinary, and these responsibilities coupled with the sustainability of such sports require ongoing reassessment of common practices. The current meta-analysis is timely and should be reflected in the rules that govern horse sports in tandem with the education of judges."
= Wenn Tiere im Sport eingesetzt werden, ist unsere Verantwortung außergewöhnlich hoch. Und diese Verantwortung gekoppelt mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit/den Erhalt dieser Sportarten erfordern ein stetes Hinterfragen von gegenwärtigen Praktiken. Die vorliegende aktuelle Meta-Analyse ist zeitgerecht und sollte Berücksichtigung finden bei der Beurteilung von Regeln, die den Pferdesport bestimmen, gepaart mit der diesbezüglichen Ausbildung von Richtern.

Bitte macht Euch darüber Gedanken! Leider ist das Bild des Reitens hinter der Senkrechten immer noch vielfach Norm, aber es entspricht nicht der Normalität für das Pferd! Es wird nicht nur Sichtfeld, Atmung und Abschlucken (starkes Speicheln ist hier kein Hinweis auf "gute Kautätigkeit", sondern oft mangelnde Fähigkeit, den Speichel abzuschlucken; damit entfällt u.a. das Puffern der Magensäure) durch die Hyperflexion beeinträchtigt, sondern auch es werden auch die Band-, Sehnen- und Gelenkstrukturen überlastet mit entsprechenden Folgen (die aber oft erst nach Jahren des Praktizieren für den Reiter/Pferdebesitzer sichtbar werden und dann irreversibel sind).
Es heißt allerdings auch nicht, dass gesundes Reiten ein "Dahinschleppen" mit gesenktem Kopf bedeutet. Wie Ihr vermutlich alle wisst, heißt gesundes Reiten, das Pferd in einer positiven (!) Grundspannung zu halten. Ganz einfach zu verstehende Erklärung, etwas vereinfacht dargestellt: Stellt Euch vor, Ihr geht in den 4-Füßler-Stand und lasst einen Erwachsenen auf Eurem Rücken Platz nehmen. Wie haltet Ihr das Gewicht aus? Indem Ihr Eure Bauchmuskeln anspannt. Nicht der Rücken trägt, sondern die Bauchmuskeln. Ein in den Nacken gehobener Kopf lässt Euch die Spannung nicht halten, eine hinter der senkrechten gehaltenen Stirn-Nasenlinie macht es auch nicht leichter (auch wenn hier der Vergleich ein bisschen mehr hinkt). Und ohne Bauchmuskelspannung tut Euch schon nach wenigen Minuten der Rücken weh und Ihr könnte Euren Reiter nicht (aus)halten. Und dabei habt Ihr noch keinen Schritt gemacht! Und jetzt noch vorstellen, dass der Reiter auf Eurem Rücken etwas mehr Gewicht zu einer Seite verlagert hat oder oben "rumwackelt" etc.
Jeder darf sich an dieser Stelle selber Gedanken machen, was das für Auswirkungen hat.

Dieser lange Beitrag war mir ein großes Anliegen, denn wir fügen unseren Pferden oft aus reiner Unwissenheit Schäden und Leiden zu, in den seltensten Fällen ist es menschliche Bosheit. Daher gilt aber auch hier die Lebensdevise: Entwickelt Euch weiter, bildet Euch fort, gewinnt Erkenntnisse hinzu und verändert nach dem neu gewonnenen Wissen und Verständnis Eure Verhaltensweisen.

Wer die Metastudie selber nachlesen möchte, findet sie hier:

The article reports a meta-analysis of 58 peer-reviewed studies investigating on dorsoventral hyperflexion of the neck in horses, a practice under substantial public and scientific scrutiny for the past two decades. The following databases were last searched on 28.05.2023: CAB, Google Scholar, Web o...

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