
09/07/2025
Eine letzte gemeinsame Stunde
Jeden Morgen, wenn der Nebel noch über dem Friedhof liegt und die Welt ganz still zu sein scheint, kommt er hierher. Er klappt seinen alten Campingstuhl auf, setzt sich hin und senkt den Kopf.
Sein Name ist Walter. 68 Jahre alt, Rentner, Witwer. Seit zwei Jahren besucht er das Grab seiner Frau Anna. Sie war sein Anker, seine Freundin, seine Liebe seit dem Tag, an dem sie sich als Jugendliche beim Tanzen kennengelernt hatten. 47 gemeinsame Jahre, in denen sie zusammen alles geteilt haben: Freude, Sorgen, Kinder, Enkel – ein ganzes Leben.
Er bringt immer frische Blumen mit – Rosen und Pfingstrosen, Annas Lieblingsblumen. Und er redet mit ihr, als säße sie neben ihm. Manchmal erzählt er von seinem Tag, manchmal liest er ihr Zeitung vor. Heute ist er einfach nur still. Sein Blick ruht auf dem Stein, sein Herz bei ihr.
Passanten, die vorbeikommen, wundern sich vielleicht über den alten Mann, der so geduldig auf einem Friedhof sitzt. Aber für ihn ist es kein Ort der Trauer, sondern einer der Nähe. Solange er hier sitzt, fühlt er sich Anna nicht ganz verloren.
Er weiß, dass er eines Tages nicht mehr alleine auf diesen Stuhl zurückkehren wird – sondern dass sie wieder zusammen sein werden. Bis dahin wird er jeden Morgen hier sitzen, um ihr zu zeigen:
„Ich habe dich nicht vergessen. Ich liebe dich noch immer.“