19/03/2023
Eine verzweifelte, warmherzige Frau suchte den Rat eines weisen Mannes:
„Ich bin so verzweifelt. Seit ich ein kleines Mädchen bin, wünsche ich mir jedes Mal dasselbe, wenn ich eine Sternschnuppe sehe.
Ich mache alles ganz genauso, wie man es tun muss.
Doch mein Wunsch erfüllt sich einfach nicht.“
Der weise, alte Mann rieb sich langsam seinen Bart. Dann fragte er die Frau, ohne sie dabei anzusehen:
„Was muss man denn tun, damit sich ein Wunsch erfüllt?“
„Man muss den Wunsch für sich behalten und ganz fest daran glauben.“ - antwortete die Frau.
„Soso“ - sagte der weise Mann und rieb sich wieder nachdenklich seinen Bart. Nach einer engen Pause fragte er:
„Wer sagt denn, dass du den Wunsch für dich behalten sollst?“
„Na alle sagen es“ - schoß es aus der Kehle der Frau.
Der Alte schüttelte wiederholt und langsam seinen weißhaarigen Kopf.
„Nein“ sagte der dann mit ruhiger, entschlossener Stimme.
„ICH sage dir etwas anderes – als all die anderen.
Ich lade dich ein, mir deinen Wunsch mitzuteilen, wenn du willst, dass er sich erfüllt.
Verrate mir auch, WARUM du diesen Wunsch hast. Und ich werde dir dann verraten, was du zu tun hast, damit sich dein Wunsch erfüllt.“
Die verzweifelte Frau legte die Hand auf ihr Herz.
Dann überlegte sie lange hin und her.
Sollte sie es wagen, dem Alten ihren Wunsch preiszugeben??
Sollte sie einfach weitergehen und auf ein Wunder hoffen?
Was hatte sie denn zu verlieren, nach all den Jahren, in denen ihr Wunsch unerfüllt geblieben war?
Also sah sie den Alten an und sprach mit zittriger Stimme:
„Ich wünsche mir einen herzensguten Mann an meiner Seite, der mit mir durch Dick und Dünn in meinem Leben geht.“
Der Mann rieb sich wieder seinen weiß-grauen Bart. Nach einiger Zeit murmelte er:
„Soso…“
Nach einigen Augenblicken fuhr er fort:
„Und WARUM möchtest du einen herzensguten Mann an deiner Seite, der mit dir durch Dick und Dünn in deinem Leben geht?“
„Ich wünsche mir diesen Mann, weil ich dann glücklich bin.“ - antwortete die Frau schnell.
„Soso..“ sagte der Mann langsam, während er auf seine Knie schaute und seinen weißgrauen Bart nun etwas fester rieb.
„Ich sagte dir nun, was du tun mußt, damit sich dein Wunsch erfüllt“
Dann machte der Alte eine lange Pause.
Die Frau sah den Alten nun mit riesengroßen, erwartungsvollen Augen an:
„Bitte, weiser Mann, was muß ich tun, damit sich mein Wunsch erfüllt?“
„Warte auf den Tag, an dem du die nächste Sternschnuppe siehst.
In genau diesem Moment werden Tausende Menschen zum Himmel sehen und sich etwas wünschen. So wie du.
Finde einen von ihnen.
Frage diesen Menschen mit offenem Herzen, was er sich gerade wünscht.
Hilf ihm so gut du kannst, dass sich sein Wunsch erfüllt.
Auf diese Weise wird dein Wunsch sich erfüllen.“
Die Frau dankte dem Mann und dachte noch einige Tage über seine Worte nach.
Bald jedoch hatte sie seinen Rat vergessen und war genauso verzweifelt, wie immer.
Doch dann, eines Nachts auf dem Nachhauseweg durch den Park, sah sie zum Himmel.
Aus dem schwarzblauen, nächtlichen Äther erschien sie plötzlich: Die nächste Sternschnuppe.
Und sie kam nicht allein. Sie brachte ihre Brüder und Schwestern mit.
Überwältigt vom Sternschnuppen-Regen fasste sich die Frau ans Herz.
Und sie erinnerte sich: An den Alten und seine Worte.
Also sah sie sich um, ob es hier einen Menschen gab, den sie nach seinen Wünschen fragen könnte.
Auf der Parkbank, neben der Trauerweide saß ein Mann. Er hatte einen Rucksack bei sich und sah aus, wie ein Bettler.
Die Frau faßte allen Mut zusammen und fragte den Mann auf der Parkbank:
„Haben Sie gerade einen Wunsch, den ich Ihnen erfüllen kann?“
Der Bettler schaute sie nicht an. Er murmelte nur: „Ich wünsche mir jetzt eine Flasche Schnaps.“
„Oh, ich habe keinen Schnaps bei mir. Aber wenn sie hier warten, dann werde ich Ihnen eine Flasche bringen.“ - antwortete die Frau.
Der Mann nickte unmerklich und die Frau lief zur nächsten Tankstelle, um eine Flasche Schnaps zu kaufen.
Sie war sich nicht sicher, ob sie dem richtigen Menschen begegnet war.
Sie war sich nicht sicher, ob es richtig war, was sie tat.
Sie war sich nicht sicher, ob der Bettler noch da sein würde, wenn sie wieder kam.
Aber sie dachte an die Worte das alten Mannes.
Der Bettler war noch da, als sie zurückkam. Sie gab ihm den Schnaps.
Er schaute die Frau nicht an, während er die Flasche öffnete.
Aber sie sah, dass ein kurzes Lächeln über seine Lippen huschte.
Dann ging sie nach Hause. Sie fühle sich besser an diesem Abend.
Sie fühlte sich besser, als sie sich das ganze letzte halbe Jahr gefühlt hatte.
Und so machte sie weiter damit, die Menschen nach ihren Wünschen zu befragen.
Manchmal hörte sie zu, wenn jemand Sorgen hatte.
Manchmal schrieb sie ein Gedicht.
Manchmal passte sie auf ein Nachbarskind auf.
Manchmal ging sie mit einem fremden Hund spazieren.
Das, was sie für einen anderen tat, das machte sie glücklich.
Einmal, als sie mit ihrem Pflegehund Gassi ging, kam sie an der Parkbank vorbei, auf der einst der Bettler saß.
Heute saß dort ein schick gekleideter Mann. Sie setzte sich zu ihm und fragte:
„Haben Sie zufällig etwas auf dem Herzen, bei dem ich Ihnen behilflich sein kann?“
Der Mann blickte zu ihr auf. Dann lächelte er sie an und sagte:
„Ich danke Ihnen noch für den Schnaps vor ein paar Monaten. Ich hatte eine Trennung zu betrauern.
Seit dieser Nacht bin oft hierher zurückgekommen, um Sie wiederzusehen. Mein Wunsch wurde gerade erfüllt.
Darf ich Sie zum Essen und zum Kennenlernen einladen?...♡..
[Margret Marincolo, danke
Illustr. by Pinterest]