14/03/2020
Familiengespräche
"Mama, manchmal glaube ich, es reagieren auch viele beim Coronavirus so nervös, weil sie an ihre eigene Sterblichkeit erinnert werden", sagt mein jüngster Sohn.
"Da kann was dran sein", sage ich. Auch mein Mann und ich haben unser Testament erneuert. Nicht aus Angst vor dem Virus, sondern aus Sorge davor, dass wir unsere Papiere nicht geordnet haben, wenn uns etwas, egal aus welchem Grund auch, passiert.
Eigentlich ist manche Katastrophe, auch wenn sie uns nicht persönlich
trifft, ein Mahnmal - weil es anmahnt, sich Gedanken zu machen.
Am Abend besuche ich meine Mutter, sie wollte ein Pumpernickelbrot eingekauft haben. Das mit Rübenkraut bestrichen ist auch so eine Kindheitserinnerung von mir.
Den jetzigen Sonntag sind unsere Söhne bei ihr zum Essen eingeladen.
Es gibt Braten, Kartoffeln und Rotkohl - Lieblingsessen aller Enkelkinder und nirgendwo schmeckt es so gut wie bei
Großmutter.
Ich sitze mit ihr in ihrem Wohnzimmer. Zur Begrüßung umarmen wir uns nicht mehr, aber es geht ja auch anders.
Sie telefoniert zwischendurch mit dem älteren Enkel und hört von ihm, dass er überlegt, am Sonntag nicht zu erscheinen, weil er sie schützen möchte. "Ich käme nicht damit klar, wenn ich Dich anstecken würde und Du deswegen sterben müsstest," sagt er.
Ja, die Warnungen liest und hört man dazu immer wieder.
Ich bin dankbar, dass wir alle so miteinander reden können. Letzte Tage hatte ich ein Mädchen bei mir, das wusste, dass der Opa sterben würde, obwohl der totkranke Opa sagte, er würde nicht sterben. "Ich würde gerne mit ihm darüber reden, ihm sagen, dass ich dann traurig wäre, aber wenn ich das tue, dann denkt er, dass ich denke er müsse sterben - obwohl das ja auch
passiert..." Sie war so ratlos und tieftraurig. Zu Recht.
Meine Mutter hört meinem Sohn zu, nickt zwischendurch gerührt und sagt dann:
"Aber weißt du, wenn ihr, du und deine Brüder, mich nicht mehr besuchen kommt, weil ihr mich schützen wollt - dann kann es doch trotzdem so sein, dass ich am Sonntagabend einen Herzinfarkt bekomme, und dann haben wir weder zusammen gegessen noch uns gesehen. Das wäre aber auch schade!
Ich bin jetzt 89 Jahre alt, also schon sehr alt. Ich gehöre zur Risikogruppe, die das Leben verlieren kann. Aber nicht nur wegen Corona, sondern wegen dem Alter. Ich habe alles geregelt, das ist ein gutes Gefühl.
Kommt mal ruhig zum Essen vorbei, wir müssen uns ja nicht in den Arm
nehmen. Aber du musst entscheiden, ich will dich nicht zu etwas drängen, was für dich nicht gut ist. Wir holen das Essen sonst nach." Man sieht und hört, dass sie das genauso meint.
Sie beenden das Telefonat und meine Mutter legt die Hand aufs Herz und sagt zu mir: "Wirklich, Mädchen. Ich habe keine Angst. Alles was zu regeln ist,
ist erledigt, Papiere sind zusammengesucht. Das mit der eigenen Sterblichkeit, das ist doch eine Tatsache. Es ist aber auch gut, dass ich jetzt am Ende meines Lebens keine Pflichten in der Erziehung mehr habe.
Ihr seid alle eigenverantwortlich und auch mit den Enkelkindern habe ich so ein Glück. Wenn ich sterbe, dann habe ich meine Aufgaben erledigt. Jaja, dann
entsteht schon eine Lücke, aber keine, weil ich noch etwas machen muss. Das ist einfach so und irgendwie auch schön, weil ich mir denke, dass ich dann Vater wiedersehe."
Ich muss lächeln, weil sie bis heute vor uns Kindern von ihrem Mann nur als Vater, so nannten wir ihn auch, spricht. Meine Eltern selbst haben sich untereinander bei den Vornamen genannt.
Und dann blickt sie Nero, den Familien-Trauerbegleiterhund an und sagt: "Na Nero, du hast auch schon bald dein Alter erreicht, was?" Und Nero schaut sie
an, wedelt mit dem Schwanz.
Als ich mein Elternhaus verlasse, treffe ich auf meine Schwester. Sie ist Krankenschwester und arbeitet in einem Seniorenheim. Ich erzähle ihr von unserer Mutter und frage sie nach ihrer Arbeit.
Meine Schwester schildert die präventiven Vorkehrungen wegen dem Virus, die Besucherreduzierung, und
es wird nochmal deutlich, was wir schon alle wissen: was für einen zusätzlich anstrengenden Job nicht nur derzeit in Pflegeinrichtungen und Krankenhäusern Männer und Frauen leisten.
"Weißt du", sagt sie. "Und wenn jetzt so die Post abgeht, dann wird
deutlich, wer die notwendige Arbeit in der Gesellschaft leistet. Pflegende, Mediziner und soziale Berufsgruppen.
Die in den hochdotierten Jobs, die machen Homeoffice.
Sie fliegen nun nicht nach China, sondern es reicht auch mal eine
Telefonkonferenz... Naja, es gilt ja nicht für alle, aber vielleicht soll
mal wieder mehr dahin geschaut werden, wer und was in Krisenzeiten so notwendig ist."
Ja, und da sind wir wieder bei der Bezahlung. Wenn es jetzt mal einen Streik gäbe, (den allerdings soziale Leute in solchen Zeiten nicht machen würden), dann würden die Gehälter vielleicht dem Gegenwert entsprechend angepasst werden. Ich wünsche sehr, dass es in ruhigeren Zeiten geschehen wird.
Wieder zuhause angekommen, treffe ich auf Sohn Drei.
Ich erzähle ihm von meinen Gesprächen und er sagt: "Ja, und die Bäcker, die Lebensmittelverkäufer,... All' die und weitere müssen auch in ihrer Notwendigkeit gesehen werden."
Das ist wahr. Man bleibt im Leben nicht ständig die kleine Schraube im Getriebe ...
Und sicher braucht es auch verantwortungsvolle Politiker, die
vielleicht nicht mehr Geld, aber mehr Respekt verdienten.
Und dann überlegt der Sohn, wie man miteinander noch bewusster die Versorgung der Großmutter, die „physische und psychische“, sichern kann.
Das ist in diesen Tagen vielerorts so wertvoll, diese ansteigende Hilfsbereitschaft untereinander. Die können sogar Leute im Homeoffice leisten.
Mit dem Bewusstsein um unsere Sterblichkeit ist manche Katastrophe, auch wenn sie uns nicht persönlich trifft, nicht nur ein Mahn-, sondern auch ein Denkmal. Und wenn dann noch ein "Mach"mal folgen würde, wie gut wäre das, wir würden, bevor wir eines Tages unser Leben verlieren, das Beste daraus machen?