10/09/2025
Um als Tochter wirklich zu existieren, muss man manchmal Abstand von der Mutter nehmen.
Und auch wenn das radikal klingt – in vielen Lebensgeschichten von Frauen ist dieser Schritt notwendig, um ein eigenes Leben führen zu können.
Ich weiß nicht, wie es bei dir war, aber nicht alle Mütter schaffen es, ihre Töchter als eigenständige Personen zu sehen – mit eigenen Wünschen, Bedürfnissen und Maßstäben.
Viele füllen – oft unbewusst – mit ihren Töchtern eigene Leerräume, projizieren Erwartungen oder versuchen über sie das nachzuholen, was im eigenen Leben nicht möglich war.
Aus feministischer Sicht verstehen wir, dass Mutterschaft von Jahrhunderten unerfüllbarer Ansprüche geprägt ist: aufopferungsvoll sein, perfekt sein, alles richtig machen. Viele Frauen erziehen in Einsamkeit, ohne Netzwerk, ohne Ressourcen, ohne Zeit oder Raum für ihre eigenen Bedürfnisse.
Aber diese Geschichte entschuldigt nicht, dass ihre Töchter kein eigenes Leben haben dürfen.
In vielen Familien wird die Tochter zur emotionalen Vertrauten, zum Halt, zum Projekt. Es wird erwartet, dass sie ähnelt, dass sie sich fügt, dass sie nicht „enttäuscht“. Und wenn sie es doch tut, folgt oft Strafe: Schweigen, Vorwürfe, Ablehnung.
Was eigentlich Quelle des Stolzes sein sollte (das ist meine Tochter, anders als ich), wird zur Bedrohung – für die Identität, die Überzeugungen, den Platz in der Welt.
Und manchmal geschieht etwas noch Schmerzlicheres: Verrat.
Die Mutter, die ihre Tochter bloßstellt, über ihren Körper spottet, Geheimnisse preisgibt, Vergleiche zieht, um sie zu korrigieren. Die Mutter, die das, was ihre Tochter ihr in einem Moment der Verletzlichkeit anvertraut, gegen sie verwendet.
Das hinterlässt tiefe Spuren. Denn die Tochter begreift im Innersten, dass es nicht sicher ist, zu vertrauen. Dass sie nicht sie selbst sein darf. Dass gesehen zu werden von derjenigen, die sie lieben sollte, bedeutet, beurteilt oder verspottet zu werden.
Aus feministischer und systemischer Sicht ist die Mutter-Tochter-Beziehung von Geschlechterrollen und einer Geschichte voller Schweigen, Verzicht und generationsübergreifender Schulden geprägt. Oft liegt in diesem vermeintlich „heiligen“ Band eine Last: das Aufzwingen eines Modells, die Forderung nach Loyalität, der Widerstand gegen jede Form der Andersartigkeit.
Viele Töchter wurden als Verlängerung des mütterlichen Selbst benutzt.
Es wird erwartet, dass sie denken wie sie, wählen wie sie (oder so, wie sie nicht wählen konnte), dass sie ihre Unterschiede unsichtbar machen, dass sie verschwinden.
Im Kern können viele Mütter nicht ertragen, dass ihre Töchter ein freieres, erfüllteres, selbstbestimmtes Leben führen. Dann treten Kritik auf, Spott, Kontrolle, getarnt als Sorge – oder gar die Rolle des Sündenbocks.
Das Grundproblem bleibt immer dasselbe: die Unfähigkeit, die Tochter als eigenständige Person zu sehen. Mit eigenen Grenzen, mit einer eigenen Subjektivität, mit dem Recht, anders zu sein.
Um als Tochter zu existieren, braucht es Distanz.
Emotionale, symbolische oder auch räumliche.
Nicht aus Hass. Nicht aus Undankbarkeit. Sondern der eigenen Gesundheit zuliebe.
Um aufzuhören, Rollen zu wiederholen.
Um aufzuhören, ein Spiel mitzuspielen.
Um ein Leben zu führen, das einem selbst gehört.
Dieser Schritt, so schmerzhaft er auch ist, ist ein Akt tiefer Selbstliebe.
Der Beginn eines echten Erwachsenenlebens.
Und manchmal auch der Anfang einer neuen Beziehung zur Mutter: ehrlicher, freier, echter.
Wahrhaftiger.
Denn Tochter zu sein bedeutet nicht, immer verfügbar zu sein.
Nicht, zu gefallen.
Nicht, auf das eigene Gesehenwerden zu verzichten.
Nicht, eine Kopie der Mutter zu sein.
Tochter zu sein bedeutet auch, sich zu erlauben, einen anderen Weg zu gehen.
Denn niemand sollte sich selbst verraten müssen, nur um dazuzugehören.
Und keine Liebe, die verlangt, dass man sich aufgibt, kann Bestand haben.
Wir kommen aus diesem Körper, aber wir sind nicht dieser Körper.
Danke für alles – aber ich habe die moralische Pflicht, meinen eigenen Weg zu gehen, Mama.
Ich zu sein, ist meine Aufgabe.
Guten Tag, ein neuer Anfang.
Wenn das in dir etwas berührt, teile es gern. Ich freue mich, von euch in den Kommentaren zu lesen.
— María Sabroso
Foto: Künstlerin Carly Frindhabdler