31/10/2014
Bericht der SWP am 30.10.2014
Thema:
Bestattung im Land der Vorfahren
Noch kaum Interesse am Sendener Gräberfeld für die muslimische Religionsgemeinschaft
Die Ausrichtung gen Mekka ist exakt. Dennoch hat sich bislang kein Muslim auf dem für Angehörige der islamischen Religionsgemeinschaft angelegten Gräberfeld in Senden bestatten lassen. Ein Erklärungsversuch.
NIKO DIRNER
Senden. Anfang Juni starb an einem Samstag in Senden ein Mann mit türkischen Wurzeln und muslimischen Glaubens. Übers Wochenende verwahrte Bestatter Primus Schmid die Leiche in seinem Kühlraum. „Und Montagfrüh ging es direkt zum Flughafen“, sagt Schmid. Den Transport hatte der muslimische Bestatter Eyup Ilgün aus Stuttgart organisiert. Er arbeitet für eine Firma, die von der halbstaatlichen „Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion“, kurz Ditib, gegründet wurde. Die Tätigkeit besteht darin, hierzulande gestorbene Türken oder Menschen mit türkischen Wurzeln in ihre Heimat oder die ihrer Vorfahren zurückzubringen. Ein Weg, den immer noch die Mehrheit wählt. Was sich an der fehlenden Nachfrage für das muslimische Gräberfeld auf dem Sendener Waldfriedhof ablesen lässt.
„Wir haben dort keine muslimische Beerdigungen“, sagt Bürgermeister Raphael Bögge. Vor drei Jahren war das Gräberfeld, das Platz für zehn Verstorbene bietet, auf Vorschlag des damaligen Bürgermeisters Kurt Baiker eingerichtet worden. Sendener Muslime hätten an ihn den Wunsch herangetragen, die Toten vor Ort bestatten zu können, ohne gegen die Gebote des Islam zu verstoßen. Die Gräber sind deshalb exakt gen Mekka ausgerichtet.
Seither sind in Senden mehrere Bürger muslimischen Glaubens gestorben – doch alle wurden in der Türkei beerdigt. „Der Hauptgrund dafür sind die Kosten“, erklärt Bestatter Eyup Ilgün. In Senden etwa müssen für ein Erdgrab rund 2500 Euro aufgewendet werden, in Ulm oder Neu-Ulm sogar über 3000 Euro. In der Türkei lägen die Ausgaben wesentlich niedriger. Zudem werden dort Gräber zu Lebzeiten erworben. „Man kauft das Grundstück“, sagt Ilgün. Und auf dem Land, in den Dörfern, koste ein Grab teilweise gar nichts.
Und der Transport? Sei meist über eine zu Lebzeiten abgeschlossene Vereinsmitgliedschaft abgedeckt, sagt Ilgün. „Es ist eine Art Fonds.“ 50 Euro werden pro Familie im Jahr fällig. Das reicht im Todesfall für einen Flug in die Türkei mit Begleitperson sowie für die Erledigung der Formalitäten. Den Transport im Land übernimmt der türkische Staat, sagt Ilgün. Ein weiteres Hemmnis ist der Sargzwang, der dem traditionellen Reglement widerspricht: Muslime werden nur in Leinentüchern bestattet. Bayern hält daran fest, Baden-Württemberg hat ihn gerade abgeschafft.
Ungeachtet dessen beobachtet Ilgün durchaus ein Umdenken: Für die Angehörigen der dritten Generation der türkischen Auswanderer sei eine Beerdigung in Deutschland, wo sie geboren und aufgewachsen sind, überlegenswert. Da spiele der Gedanke, die Verstorbenen nicht nur im Urlaub besuchen zu können, eine Rolle. „Die Zahl der in Deutschland bestatteten Muslime wächst, sie ist aber noch sehr gering.“ Und: Endet die Liegezeit, werde der Leichnam exhumiert und in die Türkei übergeführt.
Auch der Sendener Yusuf Cinici, der von sich sagt, er lebe schon sein ganzes Leben in der Illerstadt, der sich in der Lokalpolitik engagiert, eine Ausbildung als Integrationsmentor hat, kann sich ein Begräbnis in der Türkei vorstellen. „Man will bei der Familie liegen. Mein Großvater, mein Vater, Onkels und Tanten sind in der Türkei beerdigt.“ Die Entscheidung sei aber noch nicht gefallen. In den genannten Fonds zahlt er jedenfalls nicht ein.
Cinici sagt auch, es gebe mehr Bestattungen von Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Und er hat Erklärungen dafür, dass das Sendener Gräberfeld nicht genutzt wird. Zum einen sei es kaum bekannt. Zudem seien die drei Moscheen in der Stadt nicht ausgerüstet für die Waschrituale, sie hätten auch keinen Kühlraum. Daher fänden muslimische Trauerfeiern in der Region in der großen Moschee in Söflingen statt. Von dort sei der Weg auf den Ulmer Friedhof, wo es ein muslimisches Gräberfeld gibt, kürzer. Auch Sendener lägen dort.
Alfred Jüstl von der Stadt Ulm sagt, die Zahl der Bestattungen dort habe jüngst zugenommen, drei seien es heuer gewesen, nicht alle kämen aus Ulm. Weil das erste Feld mit 135 Gräbern voll ist, gibt es ein ebenso großes zweites.
Primus Schmid kennt als erfahrener Bestatter die ganze Debatte, trotzdem sagt er: „Ich verstehe es nicht, dass Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt und ihre Angehörige hier haben, fernab in der Türkei beigesetzt werden wollen.“
Quelle:
Publikation SÜDWEST PRESSE, Ulm
Regionalausgabe SÜDWEST PRESSE - Schwäbische Donauzeitung, Neu-Ulm Senden Illertal
Ausgabe Nr.252
Datum Freitag, den 31. Oktober 2014
Seite Nr.22
Deep-Link-Referenznummer 14574903