30/06/2022
Depression beim Pferd - leider eine unterschätzte Thematik
Depressive Pferde
Da das neue Buch immer noch beim Drucker festhängt, hier zum Trost noch ein kleiner Auzug. 😉
"Depressive Pferde.
Sehr oft glauben Reiter, ihre Pferde seien „ruhig und lieb“, wenn die Tiere in Wahrheit unter Depressionen leiden. Es gibt Studien, in welchen „in sich gekehrte“ Pferde mit normal reaktiven Tieren verglichen wurden. Die Ergebnisse bestätigen etwas, das ich seit vielen Jahren zu vermitteln versuche: Nur weil ein Pferd „ruhig“ wirkt, nicht so stark auf Reize reagiert, seien dies Umweltreize, Geräusche oder taktile Reize, heißt das nicht, dass es ihm gut geht. Jedes normal gesunde Pferd wird auf ein unbekanntes plötzliches lautes Geräusch hin den Kopf hochnehmen, die Ohren spitzen, Aufmerksamkeit zeigen. In der Studie wurde daher mit einem ebensolchen Geräusch getestet. Das Ergebnis war, dass die gesunden Pferde wie erwartet reagierten und die Stärke der Reaktion mit der Anzahl der Versuche abnahm. = Eintreten einer Gewöhnung an den neuen Reiz (das Geräusch). Bei den in sich gekehrten Pferden konnte hingegen überhaupt keine Reaktion festgestellt werden.
Die in sich gekehrten Pferde reagierten also so gut wie gar nicht mehr auf Reize in ihrer gewohnten Umgebung. Außerhalb dieser gewohnten Umgebung jedoch reagierten sie viel extremer und emotionaler, um nicht zu sagen überschießend auf herausfordernde Situationen, als die normal reaktiven Pferde.
Alle in sich gekehrten Pferde hatten außerdem einen niedrigen Cortisolspiegel im Blut, was interessant zu erwähnen ist, da die meisten Leser wohl einen eher hohen Wert erwartet hätten. Es ist ein Phänomen, welches man aus der Humanmedizin kennt: Bei Menschen mit anhaltenden Depressionen, psychischen Traumen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen werden fast immer niedrige Cortisolwerte gemessen.
Der niedrige Cortisolspiegel ist kein sicheres Zeichen für eine Depression, aber er ist ein sicheres Zeichen dafür, dass stressauslösender Umgang/Training mit dem Pferd tiefgreifende physiologische Auswirkungen hat.
Merke: Ein niedriger Cortisolwert ist kein Beweis für die Abwesenheit von Stress. Er kann im Gegenteil auf langanhaltenden Stress hinweisen, der sich nicht abschalten lässt." ©Julie von Bismarck