02/02/2024
Traurig, aber wahr. Die Kollegin spricht mir aus dem Herzen!
Komm mit mir auf ein kleines Gedankenexperiment.
Du hast die Entscheidung getroffen, einem Welpen ein liebevolles, verantwortungsbewusstes Forever Home zu bieten. Du schwankst dazwischen, ob du ein Tier aus dem Tierschutz bei dir aufnehmen sollst oder ob du einen Welpen von einem anerkannten Züchter holst. Im Vorfeld hast du dich über Monate hinweg darüber informiert, wie denn dein Hund sein müsste – sportlich, kurzhaarig, verträglich, leicht zu führen. Du arbeitest die Rasse heraus, die ihrer Beschreibung gemäß perfekt zu dir passt. Du informierst dich auch darüber, welche gesundheitlichen Dispositionen diese Rasse mit sich bringt: Sprich – ob es bestimmte Erkrankungen oder körperliche Schwächen gibt, zu denen diese Hunderasse insbesondere neigt. Du liest, dass eine verantwortungsbewusste Zucht diese Schwachstellen ausmerzen kann. Nach bestem Wissen und Gewissen entscheidest du dich, nachdem du dich intensiv eingearbeitet und informiert hast, für einen Züchter. Landest auf seiner Warteliste. Und bekommst nach einer schier nicht enden wollenden Wartezeit endlich, endlich, endlich deinen Welpen.
Das Tierchen ist etwas ruhiger und etwas schmaler als seine aufgeweckten Geschwisterchen, die um den Futternapf herumbalgen. „Er ist eher schüchtern und zurückhaltend“, sagt dein Züchter. Er händigt dir die Papiere aus. Laut ihnen ist der Welpe kerngesund, ebenso wie seine Elterntiere. Er ist den Zuchtvorschriften gemäß geimpft und entwurmt.
Dein Züchter schenkt dir anlässlich der Adoption ein Welpen-Starterset, das einen großen Sack Trockenfutter enthält – die Marke füttert der Züchter bereits seit Jahren, er schwört auf das gute Preis-Leistungsverhältnis und darauf, dass die Marke speziell für diese eine Hunderasse maßgeschneidert ist. Du aber stellst einige Tage nach dem Einzug fest, dass das Futter deinem Welpen nicht schmeckt. Gut, denkst du, der Stress, die ungewohnte Umgebung, der Abschied von der Mutter und den Geschwistertieren hat dem Kleinen sicher auf den Magen geschlagen. Aber dein Welpe frisst weiterhin mit sehr spitzen Zähnen. Irgendwann verweigert er das Futter komplett.
Du gehst in den nächstgelegenen Fachmarkt und lässt dich dort beraten. Neues Futter, neues Glück: Zunächst stürzt dein Hund sich begierig darauf, dann aber lässt der Appetit merklich nach. Du stellst fest, dass dein Tierchen mit einem aufgetriebenen, druckempfindlichen Bäuchlein herumwackelt und mehrmals täglich sehr weichen Stuhl absetzt. Kaum ist der Welpe wirklich angekommen bei dir, musst du bereits den Antrittsbesuch bei deinem Tierarzt machen. Eine Wurmtablette soll schnelle Abhilfe schaffen – immer könne man einen Parasitenbefall nicht ausschließen, auch wenn der Hund von einem angesehenen Züchter stammt.
Auf die Wurmtablette hin erbricht der Welpe und zieht sich einige Tage lang sehr stark zurück. Er entwickelt übelriechende Blähungen und sehr weichen Kot. Du musst ihn mit der Hand füttern, damit er überhaupt Nahrung zu sich nimmt. Erneut gehst du zum Tierarzt. Dort bekommt er Flüssigkeit und Tabletten gegen den Durchfall. Diese lindern die Symptome zwar, aber sobald du die Tabletten absetzt, kehren Durchfall und Erbrechen zurück.
Du experimentierst viel mit dem Futter. Immer wenn du einen neuen Sack Trockenfutter öffnest, stürzt sich dein Hund mit Begeisterung darauf, aber nach wenigen Tagen oder (wenn du Glück hast) Wochen lässt der Appetit merklich nach, ehe dein Hund die Futteraufnahme gänzlich verweigert. Dein Züchter antwortet auf Nachfrage, dass du dir keine Sorgen machen musst – er kenne einige Hunde, die einfach von Natur aus schlechte Fresser sein.
Du nickst es ab. Dein Züchter wird es schon wissen. Aber dein Bauchgefühl sagt dir, dass vielleicht doch mehr dahinterstecken muss. Dass dein Tier vielleicht doch krank ist. Der Gedanke nagt fast unentwegt an dir. Du möchtest, dass dein Hund mit Genuss frisst. Und sich vor allem nicht mehr mit diesen anhaltenden Verdauungsbeschwerden herumquälen muss. Aber im Internet hast du gelesen, dass das normal ist bei dieser Rasse.
Du hast diesen einen Satz, den Antoine de Saint-Exupery in seinem „Kleinen Prinzen“ schrieb, verinnerlicht: „Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.“ Du willst deinem Welpen das schönste, das beste, das glücklichste und vor allem: das gesündeste Leben bieten. Und du willst alles richtig machen. Von Anfang an.
Daher hast du dich sehr genau informiert, wie du deinen Welpen vor Erkrankungen aller Art schützen kannst. Du hältst alle Impftermine penibel genau ein. Neben den Core-Impfungen Staupe, Hepatitis, Parvovirose, Leptospirose und Tollwut erhält dein Hund auch die optionalen Impfungen, um etwaige Risiken beispielsweise durch Zeckenbisse auszuschließen. Damit endet die intensive Prophylaxe aber nicht: Dein Tierarzt rät dir zu einer Entwurmung im Drei-Monats-Rhythmus. Du trägst dir die Daten rot in den Kalender ein, nur um den Zeitraum ja nicht zu übersehen. Der Abstand zwischen den Spot-on-Gaben gegen Zecken, Flöhe und andere Hautparasiten ist enger: Alle vier Wochen sollst du das Präparat im Nacken auftragen. Du bemerkst jedes Mal nach der Anwendung, dass sich die Haut dort entzündet, wo du das Spot-on-Präparat aufgetragen hast. Um ihn vor dieser Art von Nebenwirkung zu schützen, wechselst du auf diese praktischen Kautabletten, die neu auf dem Markt sind.
Sie schützen nicht nur vor Zecken, sondern auch vor Flöhen und Milben. Allerdings bekommen sie dem empfindlichen Magen deines Hundes nicht sonderlich gut. An den Tagen nach der Tablettengabe speichelt er stark, frisst sehr viel Gras. Er erbricht und verweigert sein Futter. Außerdem setzen starke Durchfälle ein. Du schilderst das Problem deinem Tierarzt. Er verschreibt dir eine Darmaufbaukur über 14 Tage.
Inzwischen musstest du einen neuerlichen Futterwechsel durchmachen: Dein Hund ist kein Welpe mehr, daher wechselst du auf ein „adult“-Futter, das laut Hersteller perfekt auf „deine“ Rasse zugeschnitten ist. Dein Hund stürzt sich abermals mit Gier darauf, aber innerhalb kürzester Zeit verändert sich sein Kot – statt wie gewohnt dreimal täglich setzt dein Hund nun auf einmal sechsmal pro Tag riesige, schleimige, stinkende Haufen ab.
Du stehst erneut in deiner Tierarztpraxis. Und erhältst die Diagnose, vor der du dich die ganze Zeit schon gefürchtet hast: Giardien.
Im Internet liest du nach, dass die Einzeller extrem gefährlich und darüber hinaus noch ausgesprochen therapieresistent sind, und dass du über einen unendlichen langen Zeitraum immensen Hygieneaufwand betreiben musst: Putzen. Waschen. Desinfizieren. Tag für Tag. Hundekontakt meiden, unbedingt. Du erhältst zudem zweierlei Tabletten, die den Giardien den Garaus machen sollen. In den ersten Tagen bemerkt du eine leichte Verbesserung der Verdauungssymptomatik. Dann aber stellt dein Hund das Fressen komplett ein. Er entwickelt hektische Leck- und Schluckanfälle, er reißt panisch an Textilien und drängt mehrmals nachts in den Garten, um dort Gras zu fressen und zu erbrechen.
Der Durchfall stellt sich sehr zeitnah ein. Blutige, schleimige Schlieren. Du suchst im Notdienst die nächstgelegene Tierklinik auf.
Hier erfolgt die Diagnose akute Darmentzündung. Ein paar Tage lang bleibt dein Hund stationär in der Klinik. Er wird intensivmedizinisch betreut, und er wird entlassen mit der Prognose, dass er zeitlebens unter einem empfindlichen Verdauungstrakt leiden wird. Dass du über einen langen, langen Zeitraum Spezialfutter geben und zur Not mit Medikamenten beispringen musst.
Und du? Informierst dich erneut. Über Zusammenhänge und Kausalitäten. Und du merkst, dass du deinen gesunden Menschenverstand längst unter die öffentliche Meinung und etablierte Standards gestellt hast. Dass du deinem Bauchgefühl nicht getraut hast und das Prinzip von Ursache und Wirkung ausgeblendet hast.
Jeden Tag erleben wir Komplementärmediziner in unseren Praxen und Beratungen Patientengeschichten wie die, die ich dir gerade erzählt habe. Wir erkennen, wie eine Problematik Fahrt aufnimmt, und wie beharrlich sie doch ignoriert und beiseite geschoben wurde zugunsten einer neuen Therapie, zugunsten einer neuen Intervention, zugunsten einer neuen, innovativen Futterlösung, die mit den Bedürfnissen unseres Tieres so gar nichts zu tun hat. Krankengeschichten wie diese beginnen früh – und können in der Therapie allenfalls nachvollzogen, nie aber ungeschehen gemacht werden. Wir haben zahlreiche Möglichkeiten, Gewebe zu unterstützen und zu regenerieren; manche Schäden jedoch, die durch chronische Entzündungen oder starke Medikamentenreize verursacht wurden, bleiben im Körper erhalten
Es ist essenziell, das Übel schnellstmöglich bei der Wurzel zu packen und Probleme zu beseitigen, noch bevor sie die Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen. Mit einer Therapie, die rein auf die Unterdrückung oder Beseitigung von Symptomen ausgerichtet ist, ist das nicht getan. Krankheitsgeschichten müssen ganzheitlich betrachtet und dann ganzheitlich gelöst werden, ohne mit oberflächlichen Medikationen Tropfen zur Tropfen das Fass zu füllen, ehe es irgendwann überläuft – und uns Therapeuten und Tierbesitzer mit Krankheitskomplexen konfrontiert, die kaum mehr beherrschbar sind.