
24/09/2025
Einen spannenden Gedanken fand ich beim Studieren des großartigen Buches „Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung“ von Walter J. Dahlhaus (aethera/Urachhaus). Dort zitiert Dahlhaus den Hinweis des Analytikers Donald W. Winnicott, dass das „Alleinsein in der Anwesenheit anderer“ ein wichtiger Zustand ist, den vor allem Kinder immer wieder brauchen, um ein stabiles „Selbst“ zu entwickeln. Das hat mich deshalb so berührt, weil ich das jeden Tag in der Pflege meines Bruders erlebe. Er ist am ruhigsten und glücklichsten, wenn er „mittendrin in der Herde“ sitzt, das normale wilde Alltagsleben sich rund um ihn herum entfaltet; er ist dabei und kann sich doch mit seinen Aufgaben befassen. Ihm gibt das die notwendige Vertrauenshülle, dass er aufgeräumt und aufgehoben ist. Irgendeiner von uns ist da oder kommt vorbei, spricht mit ihm, schaut, dass alles passt, tauscht Puzzles aus oder legt ihn hin, wenn er müde aussieht. Dann liegt er einfach mitten im Leben und schnarcht ein Viertelstündchen vor sich hin, im tiefen Wissen, dass er angstfrei loslassen kann.
Mich bewegt das sehr, weil es mir immer wieder zeigt, wie enorm wichtig für uns Menschen das Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit, Aufgehobensein ist, welchen Stellenwert das „Dabeisein“ und dennoch sein Eigenes machen dürfen hat. Das ist ein Gefühl, das wir alle brauchen und in unserer mehr egozentrierten Gesellschaft nicht mehr pflegen. Wir sind lieber einsam frei als gemeinsam in Reibungsprozessen, die Familienleben mit sich bringt. Selbiges ist eher eine Form von Egotod, vor allem wenn man pflegt.
Alles wild durcheinander ist von bezaubernder Anmut wie hier im Goetheanumsgarten.