03/02/2025
*** Wartezeiten immer länger bei Fachärzten – stattdessen immer mehr los bei Hausärzten. Die Politik tut ungläubig und ist doch der Grund des ganzen Übels - Eine Erklärung ***
Heute war es wieder zu lesen: Die Wartezeit auf Facharzttermine ist unbefriedigend. Die Wahrheit ist zusätzlich: Die Arzt-Zeit in Hausarztpraxen sinkt immer weiter durch sinnlose Entscheidungen, die völlig an den Wurzeln der Probleme vorbeilaufen.
Kurze Wartezeiten auf Facharzttermine – klingt gut und wollen alle. Die Politik in Person von Jens Spahn hatte sich dies 2018 zur Aufgabe gemacht und 2019 wurde im Bundestag dann das Gesetz „für schnellere Termine und bessere Versorgung“ beschlossen. Es folgte die Einrichtung einer von den Ärzten selbst zu finanzierenden Terminservicestelle (Telefonnummer 116117) mit dem Ziel, dass jeder Patient mit einer Problematik einen Anspruch auf eine Terminvermittlung innerhalb von 4 Wochen bei einem Facharzt bekam. Na das klingt doch gut, oder?
Was ist seitdem geschehen? Das zeigt uns die aktuelle Statistik: Die „Kassenpatienten“ sind nach wie vor höchst unzufrieden – warten weiterhin viel zu lange auf Facharzttermine. Parallel nimmt die Überlastung in den Hausarztpraxen exorbitant zu.
Trotz Einrichtung der kostspieligen Terminservicestelle (Telefonnummer 116117) gelingt es nicht, die Wartezeiten zu verkürzen. Nein – sogar das Gegenteil ist der Fall: Viele Patienten hören heute beim Anruf in der Facharztpraxis: „Wir nehmen überhaupt niemanden mehr an“ oder „Sie können in 8 Monaten einen Termin erhalten, es sei denn Ihr Hausarzt ruft an“. "Oooh! Wenn mein Hausarzt anruft dann klappt das? Na dann nix-wie-hin zum Hausarzt!"
Kennen Sie das? Wir denken: Die meisten kennen das!
Also: Ab in die Hausarztpraxis, die mir gerade noch die Überweisung gegeben hatte. Oder auch nicht, da ich ja vorher gar nicht bei meinem Hausarzt war, sondern mich direkt an eine Facharztpraxis gewandt habe.
Ups! Der hat aber auch die Praxis mal richtig voll! Im Wartezimmer hat er Patienten mit Bauchschmerzen, Luftnot, Druck auf der Brust, psychischen Problemen etc. sitzen und wartet selbst darauf, endlich zum Hausbesuch zu kommen.
Man setzt sich also in heutigen Zeiten vor den Facharzt, um regelrecht nach einer Dringlichkeit zu bitten: „Lieber Hausarzt, ich war ja heute morgen schon bei Ihnen. Sie hatten mir eine Überweisung zum Facharzt mitgegeben. Ich bekomme aber keinen Termin. Die Praxis sagt: Wenn Sie sich darum kümmern, dann bekomme ich schnell einen Termin. Ansonsten komme ich erst in Monaten dort dran!“.
Was denken wir als Hausärzte? Aha! Es gibt also offensichtlich doch freie Termine, oder? Wieso muss dann der Hausarzt anrufen, der während unseres Gesprächs die Praxis auch „gerammelt voll“ hat. Als Fachärzte für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin freuen wir uns in dem Moment natürlich „riesig“, denn der Termin ist natürlich „Chefsache“ und da hat ein Bauchschmerz im Wartezimmer natürlich keine Priorität. Parallel kämpfen unsere Helferinnen am Telefon, die Flut von Anrufern für Termine wie Vorsorgen, Anträgen, Impfungen, Ultraschallkontrollen irgendwie im Plan unterzubekommen….
Das ist Alltag!
Wir möchten mal aus Hausarztsicht erklären, was sich die Politik in den vergangenen Jahren überlegt hat – und warum dieses System in Zeiten von gleichem Angebot (=Anzahl der Facharztsitze) einfach nicht funktionieren kann – und die Hausarztpraxen letztlich immer weiter überfordert. Und das mit einem ganz einfachen Beispiel: Wir wollen an einer Kasse bezahlen.
Nehmen wir mal das Beispiel eines Discounters. Wir stellen uns an Kasse 1 (=Facharztpraxis) an der Schlange an und wollen bezahlen (=einen Termin haben). Bis zu Zeiten von Herrn Spahn ging es zwar langsam voran, aber es ging eben voran. Jetzt hat Herr Spahn eingeführt, dass sich vor uns in der Schlange immer mehr Menschen von der Seite "vordrängeln" können (von Hausärzten bzw. von der Terminservicestelle vermittelt). Die Folge: Die Schlange vor uns verlängert sich automatisch für alle, die sich einfach ganz normal dort angestellt haben. Anfangs (Spahn) sollten es pro Kasse mindestens 2 pro Woche sein.
Im Verlauf hat man dann auf Politikseite festgestellt, dass immer noch zu lange in der Schlange gewartet wird, und hat nun ein weiteres (völlig unsinniges) System eingeführt: Man hat der Kassiererin (Inhaber der Facharztpraxis) gesagt: „Wenn Du dringliche Terminanfragen behandelst, dann belohnen wir Dich! Du bekommst dann für jede Behandlung mehr Geld, als Dir für die Behandlung eines "normalen Termins" bezahlt wird. Wer dringlich ist - das entscheidet der Hausarzt.
Da sagt sich der Kassierer (Inhaber Facharztpraxis): „Wow! Klasse! Das machen wir! Und wenn wir für die dringlichen Termine mehr Geld bekommen, dann behandeln wir natürlich vorzugsweise dringliche Termine – denn normale Terminanfragen von Patienten lohnen sich ja ab dann weniger! Die lassen wir so lange warten, bis sie entnervt aufgeben und den Hausarzt aufsuchen, um von ihm jetzt endlich als dringlich anerkannt zu werden. Besser noch: Wir sagen dem Patienten gleich am Telefon dass er schnell drankommt, wenn er dringlich ist! Denn Monate wollen Sie doch bestimmt nicht warten, oder?“
Und als dringlich im Gesundheitssystem gelten offiziell zwei Gruppen von Patienten: Die Gruppe, die der Hausarzt als dringlich einschätzt – und die Gruppe, die einen „hohen Leidensdruck“ hat. Kurz gesagt: Nahezu jeder Patient ist nach dieser Definition also für sich dringlich.
Was passiert jetzt wieder im Alltag?
Der Patient sucht erneut seine Facharztpraxis auf – nur eben diesmal die Hausarztpraxis. Nicht wegen einer akuten Behandlung! Nein! Wegen eines Termins in einer anderen Praxis! Am besten noch in der Akut-Sprechstunde des Tages - denn die ist ja immer geöffnet. Da kann man immer hingehen. Kostet ja nix. Und Herr und Frau Doktor rufen für mich doch sicher die Praxen an. Da gehe ich jetzt mal in die Akut-Sprechstunde.
Liebe Patienten, liebe Politik! Das ist Alltag aller Hausarztpraxen. Dieses System generiert im Land mit den häufigsten Arztbesuchen pro Kopf und pro Jahr noch mehr Kontakte. Mit welchem Erfolg? Mehr Facharzttermine werden jedenfalls hierdurch nicht generiert. Stattdessen reduziert man jetzt auch noch die Anzahl der Arzt-Zeit in den Hausarztpraxen. Täglich sitzen mindestens 2-3 Patienten vor uns in der Sprechstunde mit dem Anliegen „Ich bekomme keinen Termin. Die Praxis sagt: Wenn Sie anrufen, dann...“.
Was ist die Lösung?
1. Um beim Discounterbeispiel zu bleiben: Es kann nur besser werden, wenn Kasse 2 und vielleicht auch Kasse 3 geöffnet wird – das hieße einfach mehr Facharztpraxen zu öffnen. Denn die Menge der Facharztpraxen darf aktuell nicht erweitert werden.
2. Belohnungen für die Behandlung sogenannter „Vermittlungstermine“ werden in Zeiten voller Facharztpraxen keinen einzigen Termin zusätzlich generieren. Es findet lediglich eine Umverteilung statt – und die Terminsekretärin ist im aktuellen System ein Facharzt für Innere Medizin bzw. Allgemeinmedizin – in Hausarztfunktion. Das nennen wir einen unnötigen Ressourcenverbrauch von Fachkompetenz.
3. Es müssen schlicht mehr Arztpraxen zugelassen werden. Warum sonst gibt es in Gießen beispielsweise ein Vielfaches mehr an rein privat tätigen Dermatologen als „Kassendermatologen“ – und werden von Kassenpatienten regelrecht übervölkert? Antwort: Es sind doch genügend Kassen-Hautärzte da!“
4. Die Hausärzte sollten entscheiden, wann ein Fachartztbesuch notwendig ist oder nicht. Solange jeder sich sofort bei Fachärzten anmelden kann – sogar bei zwei oder drei Fachärzten gleichzeitig – wird es ohne mehr Arztpraxen keinerlei Besserung geben. Das System nennt sich das „Hausarztmodell“. Will aber kein Gesundheitsminister.