08/05/2025
Übergabe des digitalen Diakonissenarchivs der Königsberger Diakonie an die Stadt Wetzlar.
Tausende junger Frauen sind in über 100 Jahren in das Diakonissenmutterhaus Königsberg eingetreten. Sie haben soziale Dienste in Krankenhäusern, in Kindergärten und Pflegeheimen übernommen. 1850 begann die Geschichte der Einrichtung in Königsberg in Ostpreußen. Nach der Vertreibung der Diakonissen aus dem von der sowjetischen Armee eroberten Teil Ostpreußens kamen die Diakonissen nach Westdeutschland. 1953 siedelten sie sich im Kloster Altenberg an und übernahmen Teile des ehemaligen städtischen Krankenhauses Wetzlar an der Frankfurter Straße.
Diese Geschichte gilt es festzuhalten, leben doch heute nur noch zwei Diakonissen. „Als wir eine Anfrage aus Berlin erhielten, wo die Diakonissen nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst Station gemacht hatten, dass ein Archiv dort die Unterlagen haben wollten, bin ich hellhörig geworden“, erzählt Christoph Franke, bis 2024 Archivar im historischen Archiv der Stadt Wetzlar. „Wenn die Unterlagen nach Berlin gehen, verliert Wetzlar ein wichtiges Zeugnis der Stadtgeschichte“. Das hat ihn bewegt auf die damalige Leiterin der Königsberger Diakonie, Eva Steinmetz, zuzugehen und mit ihr über die Überführung des Archives der Königsberger Diakonie in das städtische Archiv zu sprechen. Bei Steinmetz stieß er auf große Bereitschaft. Die Königsberger Diakonie musste nicht bei Null anfangen, denn über die 175 Jahre ihrer Geschichte hat die Einrichtung akribisch Unterlagen gesammelt. Tausende Seiten Berichte, Personalakten der Diakonissen, Urkunden und Fotos gehören zu dem Schatz, den bisher nur Eingeweihte einsehen konnten. Als Pfarrer Dieter Nebeling (1935 bis 2021) im Jahr 1999 als Vorsteher der Königsberger Diakonie in den Ruhestand trat, hat er die Pflege des Archives zu seiner Herzensangelegenheit gemacht. Bis 2014 konnte er diese Arbeit fortführen, bis ihn Krankheiten davon abhielten. Nebeling hatte schon 2005 Isabell Südwasser für die Archivpflege gewinnen können, die bis heute die Akten pflegt. „Es ist das Verdienst von Frau Süßwasser, dass wir nun das Diakonissenarchiv offiziell dem Stadtarchiv angliedern können“, lobte Vorstand Christian Uloth die Arbeit der Archivarin und überreichte ihr einen Blumenstrauß.
Bei der offiziellen Übergabe übernahm die heutige Leiterin des historischen Archives der Stadt Sabine Schneider die Akten. Allerdings nur in digitaler Form. „Die Akten selbst bleiben bei uns in der Königsberger Diakonie“, erläuterte Uloth. Die Überführung der Bestände in das Online-Archivinformationssystem Arcinsys Hessen hatte Franke noch vor dem Eintritt in den Ruhestand abgeschlossen.
„Wir sind nicht das Archiv der Königsberger Diakonie aber wir erhalten ein Stück Stadtgeschichte“, erläuterte Franke. In den Unterlagen schlummerten viele noch unentdeckte Geschichten, die nun öffentlich zugänglich sind. So könnte jemand nun etwas ein Buch über die Historie der sozialen und christlichen Einrichtung schreiben. Dies begann mit dem „Krankenhaus der Barmherzigkeit“ im heutigen Kaliningrad und fand in Ostpreußen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein jähes Ende. Interessant sind die vielen Einzelschicksale wie etwa von Diakonisse Berta Zimmer. Sie war in der Gemeindepflege in Ostpreußen eingesetzt. 1947 wurde sie in der Ortschaft Heinrichswalde (heute Slawsk) verhaftet, weil sie von den Sowjets der Spionage und der Verbreitung eines kritischen Lieder verdächtigt wurde. Die Diakonisse wurde zu fünf Jahren Lagerarbeit verurteilt und war in dieser Zeit meist als Holzarbeiterin eingesetzt. Im Juni 1952 wurde sie entlassen, durfte aber die Sowjetunion nicht verlassen. Sie wurde auf eine Sowchose (landwirtschaftlicher Großbetrieb) nahe Odessa in der Ukraine verbracht, wo sie Feldarbeit leistete und später im TBC-Krankenhaus arbeitete. Erst Ende 1954 durfte sie nach zahlreichen Interventionsbemühungen höchster deutscher Stellen ausreisen. Ihre Akte mit Bildern und ihren „Bericht über meine Gefangenschaft Juni 1947 bis November 1954“ hatte Südwasser exemplarisch ausgelegt.
Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD), der mit Kulturdezernent Jörg Kratkey (SPD) an der Übergabe des Diakonissenarchives teilnahm, erinnerte daran, dass über Jahrzehnte die Diakonissen mit ihren weißen Häubchen vielfach das Stadtbild prägten, waren sie doch im städtischen Altenheim, im Krankenhaus, in Kirchengemeinden und in der mobilen Pflege eingesetzt. Diesen Teil der Stadtgeschichte zu bewahren sei eine wichtige Aufgabe, die das historische Archiv der Stadt übernehme.