
30/01/2020
Gerade habe ich in der Zeitschrift "managerSeminare" einen Artikel mit dem schwungvollen Titel „Swinging Change“ gelesen. (Fragt mich nicht, warum ich das gelesen habe - vielleicht dachte ich, als Trainerin müsste ich ja irgendwie informiert sein oder ich hatte einfach nur Langeweile…)
Jedenfalls ging es in diesem Artikel um das Thema Change Management (für die mit diesem Jargon nicht vertrauten – Veränderungsmanagement) in Unternehmen, was in den meisten Fällen ja bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, weil die meisten Mitarbeiter da einfach nicht mitziehen. Der Artikel bewirbt einen vermeintlich neuen Ansatz aus der Soziologie, welcher eine Analogie zum Thema Resonanz aus der Akustik herbeizieht. Vereinfacht ausgedrückt – wenn irgendwo irgendwer oder irgendwas schwingt, schwingt irgendwer oder irgendwas in der Nähe mit – oder auch nicht. Das hängt nämlich von der besagten Resonanz ab – wir gehen ja auch nicht (freiwillig) mit jedem in Resonanz ;-)
Der zitierte Soziologe stellt sein Resonanz-Modell anhand dreier Achsen dar:
1. Die Mensch-zu-Mensch-Beziehung (ich glaube, die erklärt sich von selbst),
2. Die Mensch-Ding bzw. Tätigkeit-Beziehung (hier geht es z.B. um die Beziehung zu meiner Tätigkeit, ob ich einen Sinn darin sehe oder auch das Ergebnis meiner Arbeit sehen kann) und
3. Die Mensch-Umwelt-Beziehung, womit z.B. die Beziehung zu meinem Arbeitsumfeld gemeint ist, also ob ich mich an meinem Arbeitsplatz wohlfühle.
Auf 8 DIN-A4-Seiten wird sich hier episch über das Thema Beziehungsmanagement ausgelassen. Versteht mich nicht falsch - fachlich und inhaltlich ist dieser Artikel durchaus korrekt, allerdings frage ich mich, was ist daran neu?
Diese Erkenntnisse dürften jedem halbwegs logisch denkenden Menschen durchaus vertraut sein – nicht nur das Gallup Institut veröffentlicht seit 2001 jährlich den Engagement-Index, aus dem eindeutig hervorgeht, dass sich im Durchschnitt gerade mal 15 % der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen/Arbeitgeber identifizieren, und sich entsprechend überdurchschnittlich für ihr Unternehmen engagieren. Der Rest - 85 % - der Mitarbeiter verrichtet Dienst nach Vorschrift oder hat gar bereits innerlich gekündigt. 85 % brachliegendes Kapital in nahezu jedem deutschen Unternehmen – seit mindestens 2001!
Und warum identifizieren sich die Mitarbeiter nicht mit ihren Unternehmen? Na logo – weil die Beziehungen nicht stimmen! Insbesondere die Beziehungen der Mitarbeiter zu ihren Führungskräften und demnach auch zum Unternehmen. Ein Mitarbeiter, der sich an seinem Arbeitsplatz wohlfühlt, der sich von seinem Vorgesetzten gesehen, wertgeschätzt und unterstützt fühlt und nach seiner Qualifikation und seinen Vorlieben am richtigen Arbeitsplatz eingesetzt ist (eine adäquate Bezahlung ist natürlich Grundvoraussetzung), der steht auch in stürmischen Zeiten hinter seinem Unternehmen. Eben weil er sich mit „seiner“ Firma identifiziert. Das ist doch alles nichts Neues.
Ein paar wenige Ausnahmen scheint es in der Unternehmenswelt Gott (oder wem auch immer) sei Dank zu geben, wie Sebastian Purps-Pardigol in seinem Buch „Führen mit Hirn“ anhand zahlreicher Beispiele sehr eindrucksvoll erläutert. Hervorzuheben ist hier das Beispiel der Firma Phoenix Contact, die aufgrund der Weltwirtschaftskrise im Jahre 2009 kurz vor dem Aus stand. Aber sie haben es geschafft. Das Unternehmen hat die Krisenjahre erfolgreich überstanden und das nur, weil sie offen und transparent mit ihren Mitarbeitern kommuniziert haben, die Mitarbeiter mit ins Boot der Lösungsfindung genommen haben, stets zu ihrem Wort standen (nicht erst in der Krise) und alle Einsparungen ebenso die Führungsriege wie die Mitarbeiter betrafen. Ebenso Bodo Janssen von der Hotelkette Upstalsboom, der seine Unternehmensstrategie auf „glückliche Mitarbeiter“ ausrichtete und dadurch den Erfolg seines Unternehmens drastisch steigerte. Das ist gelebtes Beziehungsmanagement – oder um es mit den Worten dieses Artikels zu sagen - Resonanz. Nur das diese nicht ad hoc in einer Krise oder einem Change-Projekt funktioniert, sondern ein Produkt der kontinuierlichen Wertschätzung und Authentizität ist.
Ich frage mich lediglich seit Jahrzehnten – warum ziehen die meisten Unternehmen aus diesen Tatsachen keine Schlüsse und investieren in die Beziehungen zu ihren Mitarbeitern?
Glückliche Mitarbeiter = glückliche Kunden = erfolgreiches Unternehmen
So einfach ist das. Aber anstatt diese simple Formel zu leben, werden unzählige, vollkommen unnötige und sinnlose Studien und Forschungen unternommen, werden teure Unternehmensberater engagiert, die letztendlich keine neuen Erkenntnisse bringen, sondern uns nur mit einer wilden Fremdwortlitanei alten Wein in neuen Schläuchen als der Weisheit letzten Schluss präsentieren. Und diese werden dann bejubelt wie das Ei des Kolumbus.
Meine mehr als 30-jährige Berufserfahrung und die daraus resultierenden Einblicke in zahlreiche mittelständische und Großunternehmen zeigt mir, dass die „wissenschaftlich erforschten“, meist total verkomplizierten und verklausulierten Methoden, Tools und Techniken wesentlich mehr Anhänger in Führungskreisen finden, als die einfachen, praktikablen und wirklich funktionierenden. Warum ist das so? Kann einfach nicht gut sein? Die Realität zeigt doch, dass die komplizierten Dinge selten in der Praxis funktionieren. Aber einfach lässt sich halt nicht so gut bzw. teuer verkaufen...
Vielleicht passe ich auch einfach nicht in dieses System. Mir ging es schon vor 30 Jahren auf den Sack (🤯), wenn in der Bank in Betriebsversammlungen oder sonstigen „offiziellen“ Veranstaltungen die Ansprachen so mit Fremdwörtern gespickt und verklausuliert wurden, dass auch bloß niemand sie verstand. Vermutlich war das ja beabsichtigt, denn keiner wollte sich die Blöße geben und nachfragen – man will sich ja nicht als Depp outen. Und hinterher haben alle applaudiert, obwohl keiner wusste zu was. Mir war das damals schon vollkommen wurscht, ich habe mir erlaubt, hin und wieder, einfach so zum Spaß, mal nachzufragen, was denn dieses oder jenes Wort bedeutet. Witzigerweise war dabei selten ich diejenige, die sich blamiert hat, sondern oft die Sprecher, die ihre eigenen Fremdwörter nicht erklären konnten! (Dass ich ungern zu solchen Veranstaltungen eingeladen wurde, erübrigt sich wohl zu sagen…)
Was soll dieser Scheiß? Cui bono (hihi 😁)? Ich habe ganz oft den Eindruck, dass die Unternehmensführung die Mitarbeiter ganz bewusst „dumm“ hält oder für dumm hält. Warum sonst werden die Leute, die wirklich Plan von etwas haben, nicht in solche Veränderungsprozesse mit einbezogen, sondern die meisten Entscheidungen „am grünen Tisch“ getroffen? Und hinterher wundern wir uns dann, warum die Mitarbeiter nicht mitziehen – ja nee, is klar!
Dabei würden gesunder Menschenverstand und gelebte Menschlichkeit in den meisten Fällen vollkommen ausreichen, um ein Unternehmen auf Erfolgskurs zu bringen und Veränderungsprozesse relativ entspannt umzusetzen.
In meinen Augen ist ein gesundes Unternehmen nichts anderes, als eine große Familie. In Familien läuft bei weitem nicht immer alles rund und harmonisch - Cousin Steffen kann Tante Louise nicht leiden, Brüderchen und Schwesterchen hacken sich gelegentlich - im übertragenen Sinne - die Augen aus, aber wehe, jemand von außen greift die Familie an - dann stehen alle geschlossen hinter- und zueinander. In einem gesunden Unternehmen läuft es genauso – wenn es drauf ankommt, ist man füreinander da. So sollte es meiner Meinung nach jedenfalls sein.
Sodele, dass musste ich jetzt einfach mal loswerden. Macht damit, was ihr wollt 🤗
Claudia