05/05/2024
Liebe Patienten,
aus aktuellem Anlass möchte ich einmal auf die allgemeine Situation der Hausärzte und wertschätzende Kommunikation in der Praxis im Besonderen zu sprechen kommen.
Wie Sie vielleicht aus den Medien entnehmen konnten, leidet die ambulante medizinische Versorgung unter einem massiven Hausarztmangel. Dieser wird sich in den kommenden Jahren noch deutlich verstärken, da das Durchschnittsalter bei den Hausärzten unterschiedlichen Quellen zufolge regional zwischen 56 und 58 Jahren liegt. Schon heute sind deutschlandweit ca. 5000 Hausarztsitze nicht besetzt. Das sind mehr als alle anderen Fachrichtungen zusammen genommen!
Aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen und v.a. durch Kostenexplosionen der letzten Jahre sind darüber hinaus viele Praxen deutlich schlechter wirtschaftlich führbar als noch vor 30 Jahren, so dass auch viele der älteren Kolleginnen und Kollegen nicht mehr bereit sind, ihre Praxis solange fortzuführen, bis sich ein zahlungswilliger Nachfolger findet. Sie wird dann einfach geschlossen.
Gleichzeitig haben wir aber immer mehr Patienten zu versorgen. Die Zunahme vor allem psychosomatischer Fälle, u.a. als Folge der allgemein schlechten konjunkturellen Lage und Arbeitsverdichtungen im Berufsfeld sowie der zurückliegenden Pandemie, erhöht dabei auch den sogenannten Drehtüreffekt. Soll heißen, wir sehen mehr Patienten des Öfteren im Quartal. Auch bedeutet die Betreuung von Flüchtlingen, bei teils erheblichen sprachlichen Barrieren, einen nicht zu unterschätzenden Aufwand. Schließlich macht auch die gut gemeinte, aber zuweilen
sehr umständliche und politisch durchgedrückte Digitalisierung den Praxisalltag oftmals nicht einfacher.
Bedauerlicherweise wird mittlerweile auch viel zu oft von fachärztlichen Kollegen einfach wieder an den Hausarzt verwiesen und dieser soll dann auch noch zunehmend die fachärztlichen Untersuchungen (MRT u.a.) oder Therapien (z.B. Krankengymnastik) veranlassen, die dieser eigentlich bereits selbst initiiert haben müsste. Zwar liest man immer wieder, dass jeder Patient einer fachärztlichen Behandlung binnen weniger Wochen zugeführt werden kann, die Realität sieht aber leider anders aus und ich denke, dass Sie liebe Patienten, das nur bestätigen können. An wen wenden sich aber die Patienten, wenn sie weiterhin Beschwerden haben und der Facharzttermin noch in weiter Ferne ist? Richtig, an den Hausarzt. Dieser soll dann entweder selbst das Problem lösen, oder aber irgendwie einen früheren Termin beim Facharzt ermöglichen (der Hausarztvermittlungsfall kann dann plötzlich zu einem Termin in wenigen Tagen führen, der zuvor trotz akuter Beschwerden erst in Monaten vergeben werden konnte). Besonders frustrierend wird es dann, wenn der Hausarzt notwendige Diagnostik aufgrund vorhandener Qualifikation selbst durchführen könnte, dies aber wegen mangelnder Zulassung nicht darf, geschweige denn bezahlt bekommt.
Die Situation im Krankenhaus stellt sich leider nicht besser dar. Überall herrscht Personalmangel, im ärztlichen wie vor allem im pflegerischen Bereich. Dies hat zur Folge – und andere Gründe mögen dabei auch eine Rolle spielen -, dass Patienten mit teils komplexen Behandlungen und operativen Eingriffen deutlich früher aus dem Krankenhaus entlassen werden als dies früher der Fall gewesen ist. Auch dies wird sicherlich einigen von Ihnen bereits so gegangen sein. Um seitens des Krankenhauses der Sorgfaltspflicht Genüge zu tun, werden dann im Entlassungsbericht noch einige Empfehlungen und „Aufträge“ an den weiterbehandelnden Arzt weitergereicht (z.B. Beantragung der notwendigen Reha oder zwingend notwendige Laborkontrollen etc.), die in früheren Zeiten bereits im Rahmen des stationären Aufenthaltes vollzogen wurden.
Im Allgemeinen könnte man also von einer andauernden Problemverlagerung sprechen, an deren Ende immer der Hausarzt steht und Sie als Patient letztlich der Verlierer sind, da das ganze Procedere sicherlich keine Verbesserung der allgemeinen medizinischen Versorgung bedeuten dürfte.
Wie Sie sehen, hat sich das Berufsbild des Hausarztes speziell in den letzten Jahren stark gewandelt und aus einem ehemals sehr schönen Beruf und einer sinnstiftenden Berufung ist eine Arbeitsplatzsituation geworden, die viele an den Rand ihrer physischen wie psychischen Kapazitäten bringt.
Jetzt könnte man ja meinen, dass wenn eine immer knapper werdende Ware oder Dienstleistung, wie die des Hausarztes, ja eigentlich gebraucht wird und absolut notwendig ist und die Nachfrage immer weiter steigt, sie ökonomisch betrachtet analog zur freien Marktwirtschaft doch auch immer wertvoller werden müsste?
Leider ist das Gegenteil der Fall. Wir Hausärzte mögen zwar auf einer Seite eine Art Selbstständige sein. Auf der anderen Seite haben wir nicht die Möglichkeit die teils massiven finanziellen Belastungen wie z.B. Personalkosten, die in den letzten Jahren völlig zurecht (!) drastisch angestiegen sind, in entsprechenden Preisen für unsere Dienstleistungen abzubilden, wie es jedes andere kleine wie große Unternehmen z.B. im Einzelhandel oder Handwerk kann.
Wir sind immer abhängig davon, was Ärztevertreter und Krankenkassen aushandeln. Und es darf soviel verraten werden: es ist in den letzten Jahren zu einer stetigen Verschlechterung des Real-Einkommens gekommen, da die Anpassungen noch nicht mal annähernd Kosten für Personal, Miete, Energie, Einkauf oder gar Inflation berücksichtig haben! Dabei sollte auch beachtet werden, dass auch für Hausärzte im privaten Bereich alles teurer wird, sie aber eben keine Möglichkeit haben, durch entsprechende Anpassungen oder teils sogar durch Mehrarbeit bei Kassenpatienten, auch mehr zu verdienen. Nicht unerwähnt soll die Tatsache bleiben, dass die GOÄ, durch die Privatpatienten abgerechnet werden, seit 1996 nicht novelliert wurde!
Wie Sie sehen spricht leider mittlerweile einiges dagegen, sich als Hausarzt niederzulassen. Was aber tut die Politik dagegen? Sie beklagt zum einen, dass es zu wenig Ärzte gebe (wen wundert das schon in Anbetracht der oben genannten Tatsachen?) und versucht durch Förderprogramme und Verpflichtungserklärungen, sich später als Hausarzt niederzulassen, den Zugang zum Medizinstudium zu erleichtern. Doch das ist meines Erachtens nicht mehr als Augenwischerei. Man könnte genauso gut einfach den Numerus clausus senken und schon hätte man mehr Medizinstudenten, wenn es wirklich um die allgemeine Ärztenot ginge. Vielmehr ist es doch so, dass wir zwar international ein anerkanntes Medizinstudium bieten, aber die anschließenden Arbeitsbedingungen derart unattraktiv geworden sind, dass es nicht wenige im Anschluss ins Ausland zieht, z.B. nach Skandinavien oder die Schweiz.
Ein paar meiner Patienten sprachen mich schon an, dass es uns ja demnächst richtig gut gehen würde, da wir ja entbudgetiert würden. Aber der hierdurch erzielbare Mehrverdienst stellt zum einen nur die viel zu lange versäumten Anpassungen der letzten Jahre dar und 2. soll er auch noch mit Mehrarbeit durch das Angebot einer Samstagssprechstunde einhergehen. Wieviel dann eine solche Mehrvergütung wert ist, wenn man dafür noch mehr Stunden als die durchschnittlich 60 pro Woche arbeiten soll, kann sich dann jeder selbst ausrechnen. Davon mal abgesehen, dass diese Entbudgetierung seit Monaten nur als Entwurf vorliegt. Durch vor allem öffentlichen/medialen Druck war die Entbudgetierung der Kinder- und Jugendärzte komischerweise binnen weniger Wochen möglich. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Bei den geschätzten Kollegen war dies auch längst überfällig. Denn sie stehen mittlerweile auf Platz 2 der unbesetzten Kassensitze und in vielen, vor allem ländlichen Regionen, gibt es gar keine Kinderärzte mehr. Viele Kinder werden dann in der Not von den Hausärzten mitbehandelt, obwohl sie meist nicht so gut ausgebildet sind, wie unsere fachärztlichen Kollegen. Und gerade für unsere wichtigsten Patienten, nämlich unsere kleinsten und wehrlosesten, ist es eigentliche eine Schande, dass die notwendigen strukturellen wie finanziellen Maßnahmen nicht schon vor vielen Jahren ergriffen wurden!
Was mich allerdings daran ärgert, ist eine ganz andere Tatsache. Wenn politische Verantwortungsträger nur stark genug unter den medialen Druck kommen, dann können plötzlich ganz schnell Veränderungen herbeigeführt werden. Dann spielt auch Geld keine Rolle mehr. Hauptsache man ist aus dem Fokus der Kritik. Aber wehe, es sprechen rein rationale Gründe für zwingend notwendige Veränderungen. Dann wird verschleppt, verzögert und totdiskutiert, was die Gremien hergeben. Aber dies alles geschieht letztlich nicht nur zu unserem Nachteil, vor allem auch zu Ihrem, liebe Patienten.
Trotz dieser aufgeführten Punkte halten wir nach wie vor daran fest, sie hausärztlich weiter so gut zu betreuen, wie es uns eben möglich ist oder möglich gemacht wird und das bringt mich auch zum letzten Punkt dieses Schreibens.
Wie ich oben aufgeführt habe, haben Hausärzte mittlerweile gute Argumente, warum sie physisch wie mental an ihre Grenzen kommen. Und dennoch versuchen wir jeden Tag unser Bestes. Und dabei ist es nur menschlich, dass wir Fehler machen. Dabei ist es aus der Not heraus geboren, dass wir jeden Tag priorisieren müssen. Wir können uns einfach nicht mehr die Zeit für einen Termin nehmen, um über die normalen Laborwerte, das regelrechte Langzeit-EKG oder das unauffällige Röntgen zu sprechen. Nein, wir können auch nicht die offensichtlich banale Erkältung, die ein jeder von uns bereits dutzendfach in seinem Leben hatte und dessen beste Behandlung immer noch Omas Hausmittelchen sind und die einfach Schonung verlangt, 20 Minuten thematisieren. Denn wir haben leider nicht mehr die Arbeitsbedingungen der Vorgänger, die ja, so bekommen wir es leider häufig zu hören, alles besser gemacht hätten als die heutigen Ärzte. Wir können nur noch versuchen mit der wenigen Zeit, so viele wie möglich, der uns tagtäglichen konsultierenden Menschen, rasch zu diagnostizieren und suffizient zu behandeln.
Leider denken immer mehr von diesen eigentlich hilfesuchenden Patienten, dass wir nicht mehr motiviert seien, keine Lust auf sie hätten und das lassen sie leider allzu oft an unserem Personal und an uns aus. Dabei sollten Sie eigentlich Teil der Lösung sein und nicht des Problems.
Ich mag nicht daran glauben, dass es einige unter Ihnen geben soll, die denken, wir würden die Beschwerde gerne hören, dass wir mal wieder nicht telefonisch erreichbar gewesen sind. Die meinen, dass es uns Freude macht, Ihnen nicht den Termin geben zu können, den Sie sich vielleicht wünschen. Die vermuten, dass wir absichtlich nicht zurückgerufen haben, obwohl der Anruf für Sie so wichtig gewesen ist, oder die annehmen, dass wir eigentlich niemanden behandeln wollen, weil wir nicht 10 Minuten über den "schlimmen" Virusinfekt geredet und sie ausführlichst abgehorcht haben.
Sollten Sie sich in den vorangegangen Zeilen wiederfinden können, dann habe ich eigentlich nur eine Bitte an Sie:
Versuchen Sie sich zu fragen, ob wir für all das auch nicht gute Gründe haben könnten? Und wenn Sie sich das zumindest vorstellen können, dann wäre es wirklich toll, wenn wir einander respekt- und verständnisvoll begegnen könnten und es würde so manchen Ärger und lautstarke Diskussionen am Empfang vermeiden, die uns und vor allem unseren Mitarbeiterinnen, von denen es immer weniger gibt, die Arbeit wirklich nicht schöner machen.
Wenn Sie sich das alles nicht vorstellen mögen oder können, dann habe ich zumindest einen Trost für Sie. Sie müssen es vermutlich nicht noch Jahre erdulden:
Denn wenn es so weiter geht, könnte es uns bald schon nicht mehr geben.
Herzliche Grüße und bleiben Sie gesund.
Ihr Hausarzt