03/08/2022
Der SLR und seine Erweiterung 🤓 🤓 🤓
👉 Der Straight leg raise Test (SLR, hier eine Abbildung aus dem renommierten New Englisch Journal of Medicine), gilt in der Orthopädie traditionell als ein klassischer Test zum Einschluss bzw. Ausschluss eines kompressiven Geschehens (klassischerweise eines Bandscheibenvorfalls) in der Lendenwirbelsäule. Tritt dabei ein ausstrahlender Schmerz bis unterhalb des Kniegelenks bei einer Flexion des Beines zwischen 30°-70° auf (die Angaben sind hier sehr variabel), so ging man von einem positiven Testergebnis aus. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25806916/, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10788860/,
👉 Allerdings sollte man wissen, dass der SLR im Hinblick auf das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls (Bildgebung oder Befund bei OP) zwar recht gut geeignet ist, einen solchen auszuschließen (hohe Sensitivität, ca. 90%) https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.CD007431.pub2/full; seine Spezifität ist in dieser Hinsicht allerdings gering. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29253501/, https://books.google.de/books/about/Netter_s_Orthopaedic_Clinical_Examinatio.html?id=RJ0MEAAAQBAJ&redir_esc=y.
👉 Einschränkend muss erwähnt werden, dass der SLR in einem modernen Verständnis nicht nur eine Dehnung der Nervenwurzel über raumforderndes Bandscheibenmaterial (s. Abb.), sondern generell eine erhöhte Mechanosensitivität anzeigt. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29385943/, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32766466/. Beispielsweise könnte eine Neuritis, eine Inflammation ohne axonale Schädigung oder eine Radikulitis ohne Nervenkompression ebenfalls einen positiven SLR bedingen, da auch hier eine erhöhte Mechanosensitivität zu erwarten ist. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/11585565/, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16154692/, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/8235812/
👉Zudem gilt es zu bedenken, dass viele asymptomatische Menschen Bandscheibenvorfälle auf Bildern aufweisen, sodass der Referenzstandard „Bildgebung“ in dieser Hinsicht fragwürdig erscheint (sog. Verification bias). https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25430861/, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34548049/.
👉 Dennoch lässt sich die Validität des SLRs für Bandscheibenvorfälle bzw. Nervenwurzelkompression durch eine teilweise auch schon früher genutzte strukturelle Differenzierung deutlich verbessern: Pesonen et al. schlagen in mehreren Arbeiten folgende Differenzierung als Erweiterung des SLRs (ESLR) vor:
„In der jeweiligen Hüftflexionsstellung (sofern unter 90°), in der die Probleme des Patienten auftreten bzw. sich verstärken, wird eine strukturelle Differenzierung durchgeführt. Als positiv wird der SLR dann gewertet, wenn
📍 1. Symptome beim SLR auftreten und
📍 2. durch die passende strukturelle Differenzierung (distal →bei proximalen Symptomen, proximal →bei Distalen) eine Symptomverstärkung auftritt. (s. Abbildung in den Kommentaren)
📍Gibt der Patient also distale Symptome an, dann wird mit einer Innenrotation der Hüfte strukturell, d.h. neural vs. nicht neural, differenziert
📍 Beschreibt er dagegen proximale Symptome, dann wird eine Dorsalflexion im oberen Sprunggelenk als entsprechende Differenzierung eingesetzt.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33761924/, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34548049/
👉 Verglichen mit dem traditionellen SLR konnten die Autoren ein deutlich höheres Likelihood-Ratio (sprich höhere diagnostische Genauigkeit, Hintergründe s. https://flexikon.doccheck.com/de/Likelihood-Quotient) für eine Nervenwurzelkompression im MRT nachweisen (2.4 (p = 0.34) vs. 5.6 (p < 0.05). Ein positiver ESLR erhöhte die Chance für das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls bzw. einer Nervenwurzelkompression um den Faktor 8. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34548049/